Tag#Sprachwissenschaft

Eindeutlich

E

Meine Tochter ist mit ihren sechs Jahren in dem wunderbaren Alter, wo sie (bewusst oder unbewusst) neue Wörter erfindet. Die Sprachwissenschaftler würden sagen: Sie ist produktiv.

Eine ihrer Schöpfungen gefällt mir sehr gut: Eindeutlich.

„Eindeutlich“ fasst für mich nämlich zwei Ansprüche zusammen, wenn wir andere Menschen von etwas überzeugen möchten, das uns wirklich am Herzen liegt:

  1. Sei dir eindeutig klar darüber, was es ist, das du bewirken möchtest.
  2. Habe den Mut, diese Intention auch deutlich zu benennen – und zwar nicht nur bei Schönwetter.

Lasst uns also heute mal einen ganzen Tag lang eindeutlich bei der Sache sein. Gut möglich, dass es ein leiwander Tag wird.

Was besser ankommt

W

Vor vielen Jahren, bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Jugendarbeitslosigkeit in Zagreb…

Neben mir sitzt eine Vertreterin des Bildungsministerium.

Sie sagt: „The ministry is preparing a strategic document that will help to improve the frameworks for young people looking for a job.”

Ich sage: „If you want to get a job, be nice!”

Das sind zwei völlig konträre Ansätze. Natürlich auch inhaltlich, aber vor allem in dem, wie kommuniziert wird.

Im Publikum war eindeutig, was besser „ankommt”.

Kampf der Worte

K

Wir dürfen uns unsere Sprache nicht wegnehmen lassen.

Ja, es gibt Menschen, die verwenden bestimmte Wörter missbräuchlich. Ja, es gibt Wörter, die werden durch diesen ständigen Missbrauch irgendwann zu bullshit-Wörtern oder überhaupt nicht mehr brauchbar für seriöse Unterhaltungen. Gerade im Business, besonders im Marketing.

Und dennoch dürfen wir den Missetätern die Wörter nicht kampflos überlassen. Wir müssen uns die Wörter, die wichtig sind, zurückholen. Wir müssen sie weiter verwenden, und zwar in den Kontexten, wo sie ihren Sinn und ihre Würde behalten.

Hier ein paar Wörter (bzw. Konzepte), um deren Würde es sich zu kämpfen lohnt:

  • Gründung
  • Lifestyle Entrepreneur
  • Ethisches Marketing
  • Storytelling
  • Bildung
  • Kundensicht
  • Positionierung
  • Selbstwert
  • Existenzangst
  • Würde

Prämissen hinterfragen

P

Unlängst hat eine Podcast-Kollegin ihren Podcast mit folgender Aussage gestartet:

Das Kaufverhalten der Kunden, ob on- oder offline, hat sich im aktuellen Wirtschaftsklima gegenüber der letzen Jahre grundlegend verändert. Das ist ganz einfach ein fact.

Diese Taktik kann man immer wieder beobachten: Jemand behauptet etwas und tut so, als wäre diese Behauptung eine unwiderlegbare Tatsache.

Bei mir als gelernten Sprachwissenschaftler schrillen hier aber die Alarmglocken. Weil ich kenne das Konzept der Prämissen.

Prämissen sind die Vorbedingungen, damit eine Aussage gültig sein kann. Und hinter praktisch jeder Aussage, die uns als Tatsache verkauft wird, stecken jede Menge Prämissen – also Vor-Annahmen, die auch alle gültig sein müssen, damit diese Aussage gültig sein kann.

Hinter der Aussage meiner Podcast-Kollegin stecken unter anderem folgende Prämissen:

  • Das Wirtschaftsklima ist 2024 schlechter als noch vor ein paar Jahren.
  • In einem schlechteren Wirtschaftsklima kaufen Menschen nicht so gerne.
  • Das betrifft alle Käufer*innen.
  • Das betrifft alle Branchen.
  • Es gibt einen Unterschied im Kaufverhalten online und offline.
  • Die Veränderungen wirken sich auf beide Bereiche (online und offline) gleich aus.
  • Die Veränderung, die die Kollegin feststellt, ist für sie grundlegend.
  • Die Veränderung ist daher auch von allen anderen Menschen als grundlegend zu empfinden.
  • Grundlegend bedeutet grundlegend negativ.
  • Wer 2024 verkaufen will, muss diese negative Veränderung wahrnehmen und sein Verhalten ändern.
  • usw. (wahrscheinlich fehlt noch ein Dutzend Prämissen, die ich nicht aufgezählt habe.)

Jede einzelne dieser Prämissen kann richtig sein, oder sie kann falsch sein. Aber darum geht es mir hier gar nicht. Es geht mir nicht darum, dieser Aussage zuzustimmen oder sie zu widerlegen.

Es geht mir darum, darauf hinzuweisen, wie leicht und wie oft es uns passiert, dass wir die Prämissen einer Aussage als gegeben hinnehmen und gar nicht mehr hinterfragen. Wir nicken sie einfach ab. Und damit tun wir uns keinen Gefallen.

Denn man sieht: Hinter jeder Aussage stehen eine Menge Annahmen. Und es ist höchst unwahrscheinlich, dass alle zutreffen.

[PS: In der Startphase deines Lifestyle Business gibt es kaum etwas Wertvolleres, als wenn du jemanden hast, der deine Prämissen hinterfragen kann. Also jemanden, der einen Blick auf die Annahmen lenkt, von deinen du bei deiner Geschäftsidee (unbewusst) ausgehst. Ein leiwander Gründungsberater macht das – behutsam, aber konsequent.]

Schwer zu glauben

S

Es sieht für mich zumindest nicht so aus, als wäre es recht ernst gemeint:

Erfolgreich verkauft

E

Unlängst ist mir an einer Hausmauer das Banner eines Immobilienmaklers aufgefallen, auf dem stand: Erfolgreich verkauft!

Dem Sprachwissenschaftler in mir hat das zu denken gegeben, denn:

  1. Das Wort verkaufen kennt nur zwei Zustände: Entweder, ein Ding wurde verkauft, oder es wurde nicht verkauft. Es kann nicht erfolgreich verkauft worden sein, denn jeder Verkauf ist per definitionem erfolgreich. Es handelt sich hier also um einen Pleonasmus, genauso wie das kleine Baby oder der wohlhabende Millionär.
  2. Wäre es dennoch theoretisch denkbar, dass ein Verkauf nicht erfolgreich war, also im übertragenen Sinn? Dass ein Verkauf zwar stattgefunden hat, aber es trotzdem ein Misserfolg war? Denkbar wäre das im unternehmerischen Kontext, wenn ein Vertreibler einen Auftrag mit einem Kunden abschließt, der aber so schlecht kalkuliert ist, dass im Endeffekt ein negativer Deckungsbeitrag raus kommt. Dann wäre zwar ein Verkauf passiert, aber von Erfolg kann man dennoch nicht sprechen.
  3. Wem nützt die Formulierung „erfolgreich verkauft“ eigentlich? Für wen schreibt man das? Wirkt so ein übertriebener Superlativ wirklich für den Verkäufer der Immobilie, den Käufer oder den Makler? Oder soll dieses Wording vor allem zukünftige Immobilien-verkaufende Kunden beeindrucken?

Wie so oft im Leben sind auch hier die Fragen mitunter spannender als die möglichen Antworten.

Teilzeit-Diskussion

T

Bei uns in Österreich wird gerade eine Diskussion geführt, ob Menschen, die in Teilzeit arbeiten, nicht auch weniger Sozialleistungen bekommen sollte (z.B. hier). Nach dem Motto: Wer weniger leistet, soll auch weniger bekommen.

Mich verstört Diskussion, weil ich mich frage: Was ist die Agenda dahinter?

Warum kommt das Thema ausgerechnet jetzt auf? Wer will da was für wen erreichen? Welche Argumente sind echt, und welche sind nur vorgeschoben?

Wem nützt es, eine Neiddiskussion auszulösen und Vollzeitmitarbeiter gegen Teilzeitmitarbeiter auszuspielen?

Existieren diese unterstellten „faulen Schweine“, die nur Teilzeit arbeiten und dann den Rest des Tages nur Netflix schauen, überhaupt? Und wenn ja, wie viel Prozent der Teilzeitkräfte sind das wirklich? Wer kann diese Zahlen liefern, und warum werden sie nicht geliefert?

Oder ist das womöglich überhaupt eine reine Phantomdiskussion, die hier inszeniert wird?

(Und ganz abgesehen davon: Die reine Arbeitszeit als Maßstab dafür herzunehmen, wer wie viel Sozialleistung “verdient”, ist höchst fragwürdig. Teilzeitkräfte sind oft produktiver als Vollzeitkräfte, das weiß man schon sehr lange. Die Produktivität wäre der viel geeignetere Indikator, wenn schon über Leistung diskutiert wird. Aber damit würden wir eine viel tiefgreifendere und substanziellere Diskussion führen müssen. Und wer würde das wollen?)

Mit Hausverstand

M

Unlängst habe ich in der Kronenzeitung gelesen, dass sie fordert, „Klimaschutz mit Hausverstand“ zu betreiben.

Das finde ich spannend. Weil nämlich überhaupt nicht klar ist, was damit eigentlich genau gemeint ist. Gleichzeitig aber kann sich jede Leserin und jeder Leser sich seine eigene Interpretation davon schaffen, wie „Klimaschutz mit Hausverstand“ aussehen würde. Und am Ende wären sich alle einig und würden sagen: „Jawoll, Klimaschutz mit Hausverstand, so gehört das!“ – obwohl wahrscheinlich radikal unterschiedliche Vorstellungen herrschen würden, was konkret zu tun ist.

Einigkeit durch Vagheit. Sehr effektiv in der Meinungsmache, aber wenig hilfreich bei der Problemlösung.

Dialekt

D

Als studierter Sprachwissenschaftler weiß ich, dass ein Dialekt, eine Umgangssprache oder eine Mundart nicht „minderwertig“ sind gegenüber der Standardvariation (z.B. „Hochdeutsch“). Sie sind vollwertige Sprachen, und deren Sprecher sprechen genauso „schön“ wie die Sprecher der Standardvariation.

Weil ich das weiß, versuche ich meinen Kindern von Anfang an meine Weinviertler Mundart beizubringen. Sie sollen „zweisprachig“ aufwachsen: Hochdeutsch von der Mama, Mundart vom Papa. So hatte ich das zumindest geplant. In der Realität sprechen sie fast ausschließlich ihre (im wahrsten Sinn des Wortes) Muttersprache – aber das ist eine andere Geschichte.

Wie dem auch sei: Ich bleibe bei meinem Dialekt, und ich stelle immer wieder freudig und stolz fest, dass mich meine Kinder gut verstehen und manchmal sogar Freude daran haben, mit Dialektausdrücken zu spielen.

Und dennoch: Wenn ich an der FH unterrichte, gerate ich hin und wieder ins Zweifeln. Ich spreche dort eine „gehobene Umgangssprache“, die sich für mich sehr authentisch anfühlt und mit der ich mich leicht und flüssig ausdrücken kann. Aber wenn ich wie unlängst einen lehrenden Kollegen höre, der in schönstem Hochdeutsch zu den Studierenden spricht, dann denke ich mir: Heast, das klingt viel professioneller, kompetenter und gescheiter als das, was ich rede.

Als studierter Sprachwissenschaftler weiß ich nämlich auch, dass Menschen, die Dialekte, Mundarten und Umgangssprachen des Deutschen sprechen, als weniger intelligent und weniger gebildet wahrgenommen werden als Sprecher der Standardvariation (siehe z.B. hier).

Dieses Vorurteil ist natürlich Blödsinn, und ich kämpfe so gut ich kann dagegen an. Aber manchmal habe ich das Gefühl, ich kann ihm selbst kaum entkommen.

Kauderwelsch

K

Als Nebenerwerbs-Sprachwissenschaftler wundere ich mich immer wieder darüber, wie umständlich sich viele Betriebswirte ausdrucken. Wobei… „Umständlich“ ist eh noch nett ausgedrückt. Oft ist es schlicht unverständlich.

Ein Beispiel gefällig?

Eine Expertin für die Optimierung von Geschäftsmodellen versucht zu erklären, warum das Geschäftsmodell so wichtig ist für ein Unternehmen:

Seit jeher verändert sich unsere Welt. In den letzten Monaten hat das Tempo durch die Pandemie einen Gang zugelegt. Umso wichtiger ist es, dass sich Unternehmen zukunftsorientierte ausrichten. Grundsätzlich steckt hinter jedem Unternehmen ein Geschäftsmodell. Manchmal ist es bewusst formuliert, meist wird es unbewusst administriert. Es ist aber unabdingbar, sich mit dem Ist-Stand auseinanderzusetzen und die Hauptbereiche eines Geschäftsmodells im Detail zu betrachten. So erkennen Unternehmer die zentrale Funktionsweise und die Erfolgsfaktoren. Mit einem bewusst ausgearbeiteten Geschäftsmodell differenziert man sich vom Mitbewerb und befriedigt die Kundenbedürfnisse besser. Damit kann das Kerngeschäft gestärkt und darauf aufbauend, Neues entwickelt werden.

Ich kann mir schon vorstellen, was die Dame eigentlich sagen will. Ich kann mir aus dieser Aussage schon zusammenreimen, worum es ihr geht. Nicht zuletzt deswegen, weil ich schon vorher gewusst habe, was ein Geschäftsmodell ist und warum ohne Geschäftsmodell kein Unternehmenserfolg möglich ist.

Aber: Warum in aller Welt macht man es den Leser*innen so schwer? Warum versteckt man ganz wichtige Botschaften hinter Buzzwords und in aufgeblähten Sätzen? Wem, bitte, soll das nützen?

Den Leser*innen sicher nicht. Aber auch der Expertin und ihrem Beratungsangebot nicht.

Denn wer, bitte, kauft etwas, das er nicht versteht?

Buzzwords

B

Buzzwords haben einen einzigen Zweck: Sie wollen beeindrucken. Buzzwords sind Teil der „Beeindruckungssprache“ (Axel Gloger).

Buzzwords sind nicht zugänglich. Buzzwords erklären nichts. Buzzwords erregen vielleicht Aufmerksamkeit, aber sie haben wenig Substanz.

Ich glaube, wir lernen das Arbeiten mit Buzzwords im Studium. Zumindest finde ich Buzzwording fast ausschließlich bei Akademiker*innen. 

Buzzwords helfen in Wirklichkeit niemandem. Nicht dir selbst in deiner Außenwirkung, und schon gar nicht deinen Kund*innen.

Wer es nicht schafft, seine Lösungen in einer Alltagssprache relevant zu machen, schafft es schon gar nicht mit Buzzwords.

Geschwurbel

G

Aus dem Jahresbericht irgendeines österreichischen Unternehmens:

Durch umfangreiche Analysen unserer Kernzielgruppe gelingt eine einzigartige Fusion aus Wissenschaft und Praxis – mit den Vorteilen, Erkenntnisse von der Praxis für die Praxis zu gewinnen und Innovationen anzutreiben. Damit sind wir am Puls einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt.

Was für ein Schrott. Wie kann man in so vielen Worten praktisch nichts sagen? Lauter Gemeinplätze, praktisch keine Aussage. Ein einziges Buzzword-Bingo.

Liebe Unternehmen, verkauft eure Mitarbeiter*innen nicht für blöd. Diejenigen, die sich noch für euch interessieren und die ihr nicht schon längst mit solchen Unsinnigkeiten abgeturnt habt, interessieren sich dafür, was euch wirklich beschäftigt.

Redet doch Klartext. Sprecht von dem, was euch wirklich bewegt. Offen und ehrlich, ohne Selbstbeweihräucherung.

Lasst die Marketing-Sprache weg, und sprecht wie echte Menschen.

Kundenbeschaffung

K

Ein Gründer formulierte unlängst: „Meine größte Herausforderung ist die Kundenbeschaffung.“

Das stimmt, von der Sache her, natürlich hundertprozentig. Die richtigen Kunden zu finden ist die Herausforderung für die allermeisten Selbständigen, Freelancer und Lifestyle Entrepreneure.

Aber: Die Formulierung passt für mich nicht. Kunden lassen sich nicht „beschaffen“. Wir müssen sie für uns gewinnen. Wir müssen sie von uns überzeugen, weil wir sie besser verstehen als sie sich selbst. Wir müssen uns unseren Kunden mit Kompetenz, Freude und Demut nähern, die ansteckend sind.

Niemand kann uns Kunden beschaffen, aber wir haben es in der Hand, dass sie wie von selbst zu uns kommen.

Statistiken

S

„Die Statistiken sagen eindeutig…“ – Wenn ich Menschen höre, die sich auf irgendwelche nicht näher genannte Statistiken, Studien oder Forschungen berufen, werde ich hellhörig.

Mir ist klar, warum das gemacht wird: Man will seinem Argument Gewicht verleihen, es glaubwürdiger machen, ihm den Anschein der Objektivität geben. Zahlen lügen nicht, stimmt‘s?

Bei mir löst dieser Versuch aber genau das Gegenteil aus: Ich werde sofort misstrauisch. Warum versteckt er seine Meinung hinter einem Anstrich von Pseudo-Wissenschaftlichkeit? Warum gibt sie ihre subjektive Einschätzung als eine objektive Tatsache aus? Wer will mich hier manipulieren?

Es ist legitim, eine Meinungsverschiedenheit mit den besseren Argumenten gewinnen zu wollen. Aber irgendeine Statistik ins Treffen zu führen, die man nie genau gelesen und ziemlich sicher nicht verstanden hat, ja die es vielleicht außerhalb der eigenen kleinen Welt gar nicht gibt… das ist kein Argument, das ist… gar nichts.

Namen

N

Wir können Dinge erst begreifen, wenn wir ihnen einen Namen gegeben haben. Solange etwas keinen Namen hat, können wir es nicht erfassen.

Deshalb reagieren viele Menschen, die sich krank fühlen, auch so erleichtert, wenn sie eine Diagnose bekommen. Wenn die Krankheit einen Namen hat, können sie auch damit umgehen (lernen).

Wir sollten also die Bedeutung der Namen, die wir vergeben und verwenden, nicht unterschätzen. Mit den Namen, den wir geben, definieren wir nämlich auch, wie wir handeln und wie wir behandelt werden wollen.