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ErklÀr mir die Welt Podcast #278 vom 21. November 2023
Meine Notizen
Wir haben oft den Eindruck, der Kapitalismus wÀre etwas Ur-EuropÀisches oder Amerikanisches. Aber das stimmt nicht. Kapitalismus gab es in Form von Handels-Kapitalismus schon in den Jahrhunderten vor Christus, v.a. in China und im arabischen Raum.
Diese HĂ€ndler sind mit dem Handel von z.B. GewĂŒrzen teilweise sehr reich geworden. Und damit auch einflussreich. Einige von ihnen sind zu Bankiers geworden und haben Geld verliehen. Damit hatten sie noch mehr Einfluss, nĂ€mlich auf ihre Schuldner (die oft selbst sehr einflussreiche Menschen, z.B. Könige u.a. Politiker, waren).
Aber: Damals gab es âInseln des Kapitalismusâ. Insgesamt war Kapitalismus eine absolute Ausnahme. Der GroĂteil der Gesellschaft war agrarisch. Das meiste wurde nicht ĂŒber den Markt geregelt, sondern man produzierte fĂŒr den Eigengebrauch.
Interessant: âDurchgestartetâ ist der Kapitalismus dann aber in Europa (ab dem Mittelalter; Florenz, Venedig, die Fugger in Augsburg), nicht in China und Arabien. Das kann daran liegen, dass Europa ein sehr gegliederter Kontinent ist, wo auf engem Raum viel Dynamik (und Handel) entsteht. Diese Dynamik entsteht auch aus der Verteilung von geistlicher Macht und weltlicher Macht, die in Europa herrschte und in anderen Teilen der Welt nicht.
Die Kaufleute greifen zunehmend auch in die Produktion ein. Sie geben Produkte âin Auftragâ. So entstehen Heimarbeiter und Manufakturen.
Ab der Neuzeit, mit der Kolonialisierung entstehen dann die Plantagen. Das sind GroĂbetriebe, in die Kapital investiert wurde, das sich auch zu verzinsen hatte. â Plantagen-Kapitalismus: FuĂt auf Sklavenarbeit und auf anderen Formen der unfreien Arbeit, also auf Ausbeutung. Das kritisiert auch Karl Marx, wenn er sagt, dass der Kapitalismus blutig auf die Welt gekommen ist.
- âGewalt und Kapitalismus gingen hĂ€ufig in der Geschichte zusammen.â
- Etwa auch, als die Spanier und die Portugiesen die Araber mit Waffengewalt von den Handelsrouten nach Ostasien vertrieben haben.
Der Kapitalismus dringt in Europa auch in die Arbeitsbeziehungen ein. Man ist nicht mehr abhĂ€ngig von einem Gutsherren, und das bringt ein bisschen mehr Freiheit fĂŒr die arbeitende Bevölkerung. Und relativen Wohlstand. Nicht umsonst sind GB und NL nicht nur die am stĂ€rksten kapitalistische LĂ€nder der Neuzeit, sondern auch jene LĂ€nder, in denen Menschenrechte, Verfassungen und Demokratie am stĂ€rksten entwickelt werden.
Es ist âungeheuer spannendâ, wie vielfĂ€ltig und widersprĂŒchlich (âpolyvalentâ) der Kapitalismus ist. Einerseits bringt er UnterdrĂŒckung und Leid, anderseits bringt er Freiheit und Wohlstand.
- Es gibt eine enge Beziehung zwischen Durchsetzung (Gewalt, Macht) und Kapitalismus.
- Und es gibt eine enge Beziehung zwischen dem Aufbau des Kapitalismus und Ideen, Erfindungen und Utopien der MenschenwĂŒrde.
Der Kapitalismus âhat langfristig ungeheuere Fortschritte gebrachtâ â auch im Leben der breiten Bevölkerung. âAber er hat gleichzeitig ungeheuere Kosten dieses Fortschritts verursacht.â Und dazu gehören Unfreiheit, Ungleichheit, stĂ€ndige Entwertung des Alten zugunsten des Fortschritts (Schumpeter: schöpferische Zerstörung).
- âDie Erfolge und die Kosten des Kapitalismus sind unter den Menschen sehr ungleich verteilt.â
Der Handel hatte in der christlichen Tradition lange kein gutes Image. Stichwort: Eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. âEin StĂŒck antikapitalistisches, antikommerzielles Denken ist weit verbreitet im christlichen Europa.â
In der AufklĂ€rung Ă€ndert sich das. Die âchristlich getönte Verachtungâ des Kapitalismus nimmt ab. AufklĂ€rer wie Adam Smith sind Fans des Kapitalismus. So âlegitimiertâ die AufklĂ€rung kapitalistische Praktiken, die viel Ă€lter sind als die AufklĂ€rung. Und auĂerdem: Das aufgeklĂ€rte Denken ermöglicht Innovationen und eine technologische Entwicklung, die den Kapitalismus verĂ€ndert und Industriekapitalismus entstehen lĂ€sst. Lohnarbeit und Ausbeutung und Elend werden zum MassenphĂ€nomen, das Marx und Engels empört.
â So wird der Industriekapitalismus zur Leitform des Kapitalismus. Viele Menschen, die heute an Kapitalismus denken, denken an den Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts.
Der Tiefpunkt der Not der Arbeiter war in den 1840er-Jahren. Seither steigen, langsam aber stetig, die Reallöhne und die Kaufkraft in Europa â bis heute.
Der Kapitalismus durchdringt im 20. Jahrhundert die westliche Kultur. Die Prinzipien des Kapitalismus (Profitsuche, Konkurrenz, Akkumulation, Preissystem) durchdringen viele Teile der Gesellschaft, die nicht viel mit Wirtschaften zu tun haben: Kunst, UniversitĂ€ten, Familienleben, SexualitĂ€t, Denken. âDas ist ein vieldiskutiertes Problemâ: Der Kapitalismus lĂ€sst sich nicht beschrĂ€nken auf die Wirtschaft, sondern er strahlt in andere Bereiche des Lebens (in einer Art âLandnahmeâ) aus.
- Man mĂŒsste dem Kapitalismus seine Grenzen deutlicher aufzeigen, ohne ihm das Gebiet zu nehmen, in dem er so viel geleistet hat.
- Schumpeter meinte, der Kapitalismus wird nicht an einer Krise zugrundegehen, sondern an seinem Erfolg. Er breitet sich so weit aus, bis er den Ast absÀgt, auf dem er sitzt.
Heute gibt es nur mehr ganz wenige Teile der Welt (und wenige Bereiche des Lebens), wo der Kapitalismus gar keine Rolle mehr spielt. Stichwort: Globalisierung.
- Heute gibt es Finanz-Kapitalismus, Plattform-Kapitalismus und viele weitere Spielarten.
- Auch der Agrarkapitalismus (Stichwort: Tierfabriken) erzeugt ungeheueres Leid â und ernĂ€hrt gleichzeitig viele Millionen Menschen.
Man sollte eigentlich gar nicht von dem Kapitalismus sprechen. Kapitalismus funktioniert z.B. in den USA ganz anders als in Deutschland oder Ăsterreich. Oder Norwegen und Schweden. Oder China. Auch China ist inzwischen eine kapitalistische Gesellschaft (Staats-Kapitalismus).
- Man sieht: Es kommt immer darauf an, wie das Gemeinwesen den Kapitalismus einbettet in das politische und gesellschaftliche Leben.
- Deswegen sollte man auch dem Kapitalismus nicht die Schuld geben fĂŒr politische VersĂ€umnisse! Und zu den politischen Akteuren gehört jeder von uns!
âEs gibt die verschiedensten Kapitalismen.â Das ist die Hoffnung. Das Beste aus den verschiedensten Varianten des Kapitalismus zusammensuchen.
Denn eine echte Alternative zum Kapitalismus zeichnet sich aktuell nicht ab. âDas Ende des Kapitalismus ist meines Erachtens nicht absehbar. Obwohl wir stĂ€ndig vom SpĂ€tkapitalismus reden.â Aber vom Ende des Kapitalismus werde geredet, seitdem man ĂŒber den Kapitalismus redet.
- Der groĂe Gegenentwurf, die Planwirtschaft, ist gescheitert.
Der Name âKapitalismusâ ist als Kritik am System entstanden, das es schon viel, viel lĂ€nger gibt als den Namen dafĂŒr.
- Der Begriff âKapitalismusâ ist einerseits ein wissenschaftlicher Begriff, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zu beschreiben. Wie hier in diesem GesprĂ€ch.
- Er ist aber auch ein Begriff, der politisch gebraucht und polemisch verwendet wird.
Mit dem Kapitalismus gehen viele Probleme der Nachhaltigkeit einher. âEr gehört zu den TriebkrĂ€ftenâ der Klimakrise. Nicht die einzige, aber eine entscheidende.
- Gleichzeitig hĂ€lt Kocka den Kapitalismus fĂŒr die Lösung des Problems: âWir werden dieses Problem nicht ohne den Kapitalismus lösen können.â
- Der notwendige Umbau der Wirtschaft (und Gesellschaft) kostet viel Geld, âund das geht ganz, ganz schwer ohne die kapitalistischen Mechanismen.â Und es braucht viele neue Ideen und Innovationen, âund da ist der Kapitalismus nicht schlechtâ als Anreizsystem, Neues zu wagen.
Buch-Tipp von Andreas Sator:
- Geschichte des Kapitalismus von JĂŒrgen Kocka
Buch-Empfehlungen von JĂŒrgen Kocka:
- Der Preis der Welt: Eine Globalgeschichte des Kapitalismus von Friedrich Lenger
- Das kalte Herz: Kapitalismus: die Geschichte einer andauernden Revolution von Werner Plumpe
- King Cotton: Eine Geschichte des globalen Kapitalismus von Sven Beckert
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