Ein Plädoyer dafür, dass Hand- und Herzarbeit mehr Status in unserer Gesellschaft braucht, weil uns die Überbetonung von Kopf- und Wissensarbeit in eine Sackgasse führen werden. Spannend!
Teil 1: Das Problem
Die Vorherrschaft des Kopfes
- “Die westliche Philosphie von Platon bis Descartes und das Christentum sehen im Geist den Ort der Wahrheit und im Körper den Ursprung aller Begierden und Unmoral. Arbeiten mit Körper und Emotionen, zum Beispiel die Erziehung der Jungen und die Pflege der Alten, genießen daher wenig Ansehen und sind zudem überwiegend weibliche Tätigkeiten. Viel zu oft setzen wir kongitive Fähigkeiten und Leistungen mit dem Wert eines Menschen an sich gleich. Das schleicht sich auch in unserer alltäglichen Beurteilung ein.” (S. 31)
- “Kognitive und analytische Fähigkeiten und Erfolg in der Wissensökonomie hängen eng mit den freiheitlichen Werten der Autonomie, Mobilität und Modernität zusammen — dem Gegenteil der Provinziallität. […] Diese Denkgewohnheiten herrschen in der kognitiven Klasse vor, weshalb es Studierenden oft schwer fällt, konservativ denkende Menschen zu verstehen.” (S. 31)
Die Frauenbewegung
- “Der Frauenbewegung geht es heute in erster Linie darum, die gläserne Decke zu durchbrechen und auf dem Arbeitsmarkt mit Männern zu konkurrieren. Weniger setzt sie sich dagegen für die Aufwertung von traditionellen Frauenberufen im sozialen Sektor ein. Frauen haben heue weit mehr Berufschancen als in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, weshalb sich immer weniger für diese Bereiche entscheiden. Aber nur wenige Männer springen in die neue Lücke. Die Folge ist ein Arbeitskräftemangel im gesamten sozialen Sektor.” (S. 35)
Mobile vs. Verortete
- “Im politischen Ziel der Mobilität kommt oft auch eine Art Selbstverliebtheit der kongitiven Klasse zum Ausdruck: “Auch ihr könnt so werden wie wir.” Dahinter steckt häufig die Überzeugung, dass jeder andere Lebensentwurf weniger wert ist.” (S. 39)
- “Gleichzeitig ignoriert die politische Klasse einige der politischen Grundbedürfnisse der Verorteten: den Wunsch nach stabilen Gemeinschaften und dicheren Landesgrenzen; den Vorzug von Bürgerrechten gegenüber Menschenrechten; und die Weiterentwicklung, aber nicht die Abschaffung der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau.” (S. 39)
- “Weil hochqualifizierte Mobile oft besser kommunizeren und mit Informationen umgehen, reden sie sich gern ein, dass ihre Werte vernünftig und selbstverständlich sind. Dabei stellen Sie jedoch nur ihre eigenen Prioritäten oben an und unterfüttern sie nachträglich mit Beweisen — das bezeichnet man als motivierte Argumentation.” (S. 40)
Der Zweck der Arbeit
- “Bis vor Kurzem bestand für die meisten Menschen der Zweck der Arbeit darin, die Familie zu ernähren. Doch seit Ende des 20. Jahrhunderts wird gerade höherqualifizierte Arbeit immer mehr mit Selbstwert und Selbstverwirklichung in Zusammenhang gebracht — die Arbeit ist zum Selbstzweck geworden.” (S. 52)
- “Man kann im Rückblick nur schwer sagen, wie zufrieden oder unzufrieden Menschen früherer Generatoneon gewesen sein mögen. Es ist jedoch gut denkbar, dass die Industriegesellschaft, vor allem die demokratische und soziale Marktwirtschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Status und Anerkennung besser verteilt hat als die nach kognitiven Leistungen geschichtete postindustrielle Gesellschaft. Wir sind heute zwar reicher und freier als damals, doch gleichzeitig sind wir weniger verwurzelt und neiderfüllter.” (S. 53)
Wenn sich jemand fĂĽr unsere Ansichten interessiert
- “Die magische Zutat meiner geistigen Entwicklung war jedoch das Selbstvertrauen — das, was Carol Dweck als “dynamisches Selbstbild” bezeichnet. Die Ăśberzeugung, dass meine Ansichten einen Wert haben (eine Ăśberzeugung, die vielen Menschen abgeht), war eine Art Zaubertrank, der dafĂĽr sorgte, dass mir immer mehr davon in dne Kopf kamen. Wir blĂĽhen auf, wenn wir das GefĂĽhl haben, dass sich jemand fĂĽr unsere Ansichten interessiert […].” (S. 80f)
Intelligenz ist nicht alles
- “Denn so attraktiv Intelligenz ist, sie ist nicht die einzige wünschenswerte menschliche Eigenschaft. Intelligenz macht noch nicht liebenswert, ehrlich, sorgfältig, mitfühlend, mutig oder zufrieden. Trotzdem unternehmen immer mehr Menschen alles, damit ihre Kinder eine höhere Schule besuchen und studieren, selbst wenn sie weder die kognitive Kompetenz noch die Persönlichkeit dazu mitbringen. Das Ergebnis ist eine Epidemie der Fehlanpassungen. Wenn wir anderen menschlichen Fähigkeiten denselben Stellenwert beimessen würden wie der Intelligenz, könnten wir für jeden Menschen je nach kognitiver und psychischer Voraussetzung die richtige Aufgabe finden und jeden Menschen so annehmen, wie er oder sie ist.” (S. 109)
Kapitalistische Wirtschaft vs kapitalistische Gesellschaft
- “Dieser Unterschied ist genauso groß wie der zwischen einer kapitalitischen Wirtschaft und einer kapitalistischen Gesellschaft (um es mit dem französischen Sozialisten Lionel Jospin zu sagen).”
- Das ist ein interessanter Gedanke, ĂĽber den ich gerne mehr erfahren wĂĽrde.
Teil 2: Die kognitive Ăśbernahme
Das kognitive Umfeld der Universität
- “Der Wechsel vom kognitiven Umfeld der Schule ins kognitive Umfeld der Universität ist zudem einfacherals der in das nicht-kognitive Umfeld der Arbeit, wie der britische Ökonom Paul Collier gezeigt hat.” (S. 121)
Bildung als Antwort auf alles
- “Je mehr Politiker selbst studiert hatten, umso mehr sahen sie im Ausbau der Bildung eine Antwort auf alles, angefangen von der Produktivitätssteigerung der Wirtschaft bis zur gesellschaftlichen Mobilität.” (S. 126)
- “[Der Aufbruch ins Zeitalter der Massenhochschule] wurde als “alternativlos” verkauft, und niemand schien allzu viele Gedanken an die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu verschwenden.” (S. 126)
Nichts gelernt an der Uni
- “Untersuchungen belegen, dass zahlreiche Studenten so gut wie nichts von der Universität mitnehmen. So zeigen zum Beispiel Richard Arum und Josipa Roksa mithilfe von Umfragen und Prüfungsauswertungen, dass ein erheblicher Anteil von amerikanischen Studenten auf einer ganzen Reihe von Gebieten nichts dazulernt — sie können nach dem Studium weder kritischer denken, noch komplexer argumentieren oder besser schreiben.” (S. 146)
Linke Brahmanen
- “An Universitäten wimmelt es vor wohlmeinenden Menschen. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren, und in den letzen Jahren werden vor allem die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften von einer Gruppe beherrscht, die Thomas Picketty scherzhaft “linke Brahmanen” nennt.” (S. 153)
Sich verständlich ausdrücken
- “Das zeigte mir, wie sehr man daran arbeiten muss, sich verständlich auszudrücken, und wie wenig Bildung und Intelligenz allein ausreichen.” (S. 201)
- “Trotz aller Bemühungen um Verständlichkeit kommunizeren die kognitiven Eliten gern in Fachchinesisch, Managementjargon und beschönigenden Floskeln, um sich gegen die Nicht-Experten abzugrenzen und ihnen die Beteiligung zu erschweren. Fachsprache und bürokratische Vernebelung sind eine Form der Expertenmacht.” (S. 205)
Die Sprache der Bibel
- “Eine der Schätze der modernen Sprache ist für [Kinderbuchautor David Lucas] die Bibel mit ihren lebendigen Bildern: “Die biblischen Redewendungen sind uns derart vertraut, dass wir ihre Schönheit gar nicht mehr bemerken”, sagt Lucas. “Es ist nicht leicht, Dinge einfach auf den Punkt zu bringen, und noch schwieriger ist es, sie elegant zu sagen.” “ (S. 208f)
Wie, was, warum
- Folgend dem Designer Richard Guyatt: “In der Kunst und Gestaltung bestimme der Kopf das “Wie” (Funktion oder Nutzen); die Hand beschreibe das “Was” (räumliche Verkörperung) und das Herz das “Warum” (Wert und Bedeutung). Heute werden Kunst und Architektur jedoch weitgehend vom Kopf beherrrscht.” (S. 210)
- “Als im 20. Jahrhundert die Moderne an Fahrt aufnahm, rückte das “Wie” in den Vordergrund, sprich die Funktion.” (S. 210)
- Das gilt auch fĂĽr das UnternehmensgrĂĽndungsprogramm. Es ist sehr technokratisch.
Das Gleichgewicht von Kopf, Hand und Herz
- “Das erinnert uns an das Gleichgewicht von Kopf, Hand und Herz. In allen Künsten ensteht Schönheit aus einem Tauziehen starker Kräfte. Auch Erzählungen funktionieren nach diesem Muster: Eine gute Geschichte verwebt gegensätliche Motive, eine interessante Figur ist voller Widersprüche. Jede Erzählung lebt vom Konflikt: Eine Figur ist hin und her gerissen zwischen Wünschen und Zwängen, zwischen Herz und Kopf.” (S. 210f)
- Ein gutes Unternehmenskonzept, der Unternehmertraum… Auch darin herrscht ein Tauziehen und im besten Fall ein Gleichgewicht von Kopf, Hand und Herz.
- vgl. GĂĽnter Faltin
- Und auch fĂĽr ein Lifestyle Business generell ist das Gleichgewicht von Kopf, Hand und Herz ein erstrebenswertes Ziel.
- David Lucas: “Der Gedanke, dass Schönheit eine Vereinigung von Gegensätzen ist, geht auf Heraklit zurĂĽck. […] FĂĽr mich ist es eine universelle Wahrheit: Ist auf dieselbe Weise schön wie das gute Leben oder die Persönlichkeit des Menschen. Ein ausgewogener Mensch ist eine Vereinigung von Gegensätzen. Genau wie ein erfolgreiches Leben. Und schöne Gestaltung. Wenn das jahrtausendelang so war, warum sollte es seit Anfang des 20. Jahrhunderts plötzlich nicht mehr stimmen?” (S. 213)
- vgl. Wir leben in Spannungsfeldern. Schönheit ist, wenn Gleichgewicht und Harmonie in Spannungsfeldern gelingt.
Politik: Kopf < Herz
- “In der Politik ist das Herz nun einmal stärker als der Kopf.” (S. 213)
- Deswegen werden in der Politik die besseren Argumente (allein) nie gewinnen. Es braucht auch Emotionen und Geschichten.
Teil 3: Hand und Herz
Männer auf dem Sterbebett
- “Oft erkennen wir viel zu spät, was uns wirlich etwas bedeutet. Auf dem Sterbebett wünscht sich wohl kaum jemand, mehr Stunden im Büro gesessen oder eine bessere Position erreicht zu haben. Sozialpsychologen haben das sogar in Befragungen ermittelt: Wenn der Tod naht, dann bereuen wir Dinge, die mit Zugehörigkeit, Liebe und Familie zusammenhängen, aber nicht mit Leistungen im Beruf oder der Öffentlichkeit. Eine befreundete Leiterin einer Sterbeklinik sagte mir, sie erlebe es immer wieder, wie Männer ihre Frauen und Kinder um Vergebung bitten, weil sie ihnen nicht mehr Liebe und Zuneigung geschenkt haben.” (S. 282)
Teil 4: Die Zukunft
“Die gebildeten Städter, die gegen den Populismus gestimmt haben, werden die Dinge ganz anders sehen, wenn sie selbst von Globalisierung und Rationalisierung betroffen sind.” (Richard Baldwin, S. 285)
Die sicheren Sektoren der Zukunft
- “Die sicheren Sektoren der Zukunft sind diejenigen, in denen Menschen zusammenkommen und Dinge tun müssen, bei denen Menschlichkeit gefragt ist. Daher werden Fürsorge, Miteinander, Verständnis, Kreativität, Mitgefühl, Innovation und Menschenführung in unserer Arbeit einen viel größeren Raum einnehmen.” (Richard Baldwin, S. 291)
- Gegenposition: “Wir wollen die Bedeutung des zwischenmenschlichen Kontakts keineswegs in Abrede stellen. Im Gegenteil, unserer Ansicht nach spielt “das Mitfühlende” eine wichtige Rolle in der Zukunft. Doch unserer Erfahrung nach wünschen Kunden in erster Linie Lösungen und erst in zweiter einen vertrauten Ratgeber.” (Richard und David Susskind, S. 295)
Kopf und Herz
- “Und auch Herz und Kopf sind nicht voneinander zu trennen. Wie wir in Kapitel 8 gesehen haben, erfordern soziale Tätigkeiten ein großes Maß an Intellekt. Die Überbetonung des Kopfs auf Kosten des Herzens ist eine der großen Schwächen der modernen liberalen Gesellschaften.” (S. 310f)
Lernkonto
- “Hier könnte man den alten Gedanken des Lernkontos wiederbeleben, einer festen Summe, die der Staat jedem Bürger zur Verfügung stellt und auf die wir im Laufe unseres Lebens immer wieder zugreifen können.” (S. 336)
Die RĂĽckkehr zur Religion
- “In einem Aufsatz über die Welt seiner Enkelkinder hat John Maynard Keynes vorhergesehen, dass die Menschheit nach dem Sieg über die Notwendigkeit zur Religion zurückkehren wird.” (S. 338)