Erich Ribolits: AusgewĂ€hlte Werke 📙

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Inhaltsverzeichnis

  1. Manifest zur kritischen Erwachsenenbildung (2019)
  2. Jeder sein eigener Unternehmer?! (2018)
  3. Kritische Bildung – Königsweg in einem verĂ€nderten gesellschaftlichen Sein? (o.J.)
  4. FĂŒhre mich sanftBeratung, Coaching & Co — die postmodernen Instrumente der GouvernementalitĂ€t (2007)
  5. 50 Jahre alt und seit 5 Jahren in der PubertÀt
  6. Arbeit macht NICHT frei (2000)
  7. Nur Arbeit, die man auch lassen kann, macht den Menschen zum Menschen
  8. Zum Unterschied zwischen Bildung und Esoterik
  9. Grundeinkommen — Bedingung der Möglichkeit von Bildung? (2005)
  10. Vom sinnlosen Arbeiten zum sinnlosen Lernen
  11. Wer nicht lernt, soll auch nicht essen!

Manifest zur kritischen Erwachsenenbildung (2019)

Link: http://kritische-eb.at/wordpress/manifest/

Das Manifest zur kritischen Erwachsenenbildung kritisiert, dass Verantwortungen individualisiert werden.

  • Das habe ich auch bei meinem Kollegen im UGP beobachtet: Ihn regt auf, wenn sich jemand nicht “an die Spielregeln hĂ€lt” (z.B. “Coaching” ohne entsprechendes Gewerbe). Er macht das Individuum verantwortlich, das sich nicht an die Regeln hĂ€lt, obwohl die Regeln völlig sinnlos und willkĂŒrlich sind. Das Individuum handelt quasi aus Notwehr, weil sie fĂŒr etwas verantwortlich gemacht wird, das es gar nie entschieden hat. Wozu es gar nie befragt worden ist.

Kritische Erwachsenenbildung soll dazu beitragen, “die Zumutungen gesellschaftlicher MachtverhĂ€ltnisse zu erkennen, zu hinterfragen, bewusst Stellung zu nehmen und sich zur Wehr zu setzen”.


Jeder sein eigener Unternehmer?! (2018)

Der Solopreneur, der Lifestyle Entrepreneur kritisch betrachtet:

Um aber die Verwertung auch in jenen Bereichen sicherzustellen, in denen noch nach der dritten industriellen Revolution Menschen tĂ€tig sein mĂŒssen, geht es darum, dass diese sich selbst nur mehr im Vermarktungsfokus begreifen, was letztendlich nur ĂŒber den Weg der Auflösung der Dichotomie von Subjekt und Unternehmen möglich ist — das Bewusstsein der Menschen muss dahingehend verĂ€ndert werden, dass sich sich selbst (nur noch) als Unternehmen begreifen, das sich selbst als (Human-)Kapital verwertet. […] dafĂŒr sind Menschen erforderlich, die letztendlich ihre gesamte LebensfĂŒhrung am Modell der Entrepreneurship ausrichten. (S. 24)

  • Der Solopreneur, das EPU begreift seine Notwenigkeit zur Verwertung voll und ganz. Er sieht das als seine unternehmerische Aufgabe. Er investiert viel Zeit und Geld und Energie, in seiner (Selbst-)Vermarktung (= Verwertung) immer besser zu werden.
  • Im Lifestyle Entrepreneur löst sich die Dichotomie von Subjekt und Unternehmen vollstĂ€ndig auf.
    • Paradoxerweise sehen Lifestyle Entrepreneure das aber eher als Strategie dafĂŒr, mehr Menschlichkeit zurĂŒckzugewinnen. Sie sehen es als großen Schritt in ihre persönliche Freiheit, die sie sonst nicht hĂ€tten.
    • Wie passt das zusammen? Warum empfinden wir unsere Fesseln als Features der Freiheit?

Die Person muss fĂŒr sich selbst zum Unternehmen werden, sie muss sich selbst als Arbeitskraft, als fixes Kapital betrachten, das seine stĂ€ndige Reproduktion, Modernisierung, Erweiterung und Verwertung erfordert. Sie darf keinem Ă€usseren Zwang unterworfen sein, sie muss vielmehr ihr eigener Hersteller, Arbeitgeber und VerkĂ€ufer werden und genötigt sein, sich die ZwĂ€nge (selbst – E.R.) aufzuerlegen, die zur Lebens- und WettbewerbsfĂ€higkeit des Unternehmens, das sie ist, erforderlich ist.

Zitat von Gorz 2003 = Wissen, Wert und Kapital; S. 24
  • Was ich mich frage: Gilt diese Kritik dem Angestellten, der sich fĂŒr den Nutzen seines Arbeitgebers (der großen Konzerne) vermarktet, oder gilt sie auch dem Lifestyle Entrepreneur, der seine Selbstvermarktung als ErmĂ€chtigungsstrategie sieht?

Zunehmend gewinnt ein adĂ€quates Überleben nur mehr derjenige, der laufend den Markt beobachtet und im Zusammenspiel von Marktanforderungen und eigenen Potenzialen eine Strategie der wechselseitigen Manipulation zu entwickeln imstande ist. (S. 25)

  • Das sind definitiv die ZugĂ€nge der ÖVP und des AMS an den Arbeitsmarkt.
  • “Wechselseitige Manipulation”
 Was ist damit gemeint?

Meine Erkenntnis: Ich “löse” die organisatorischen MissstĂ€nde im arbeitsmarktpolitischen Kontext (UGP) dadurch, dass ich das Problem individualisiere und zu “meinem” mache â€” sprich, indem ich mich rausnehme, indem ich kĂŒndige, indem ich meine individuelle Lösung suche. Und nicht dadurch, dass ich gegen die MissstĂ€nde ankĂ€mpfe und die Verantwortung bei den tatsĂ€chlichen Verursachern (= Auftraggeber und “TrĂ€ger”) einmahne und von ihnen Verbesserungen einfordere. Schon interessant. Mit meiner individuellen Lösung ist nĂ€mlich niemandem geholfen — außer mir. Vielleicht nicht mal mir



Kritische Bildung – Königsweg in einem verĂ€nderten gesellschaftlichen Sein? (o.J.)

In diesem Artikel habe ich drei zentrale Punkte gelernt:

  • Konkurrenz
  • Kritik
  • Widerstand

ad Konkurrenz: Seine Ansicht ist, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie zu einem massiven Anstieg der Konkurrenz auf allen Ebenen gefĂŒhrt hat.

Konkurrenz wird zur alles ĂŒberstrahlenden GrĂ¶ĂŸe im sozialen Verhalten der Menschen und im politischen Vorgehen von Regionen, Staaten und StaatenverbĂŒnden. (o.S.)

Die Konkurrenz besteht nicht nur im Arbeitsmarkt und auch schon im Schulsystem, sondern auch auf politischer Ebene. Die Politiker haben dadurch kaum mehr HandlungsspielrĂ€ume.

Der Spielraum fĂŒr die sogenannten Staatenlenker/innen wird immer enger — letztlich bedeutet Politik nur mehr, optimale Bedingungen fĂŒr das zu schaffen, was euphemistisch als “Standortwettbewerb” bezeichnet wird, sich aber immer deutlicher als ein Rennen um das nackte Überleben entpuppt. Was sich nicht Ă¶konomisch argumentieren lĂ€sst, also damit, dass die jeweilige Maßnahme einen Vorteil im globalen Konkurrenzkampf darstellt, verliert in dieser Situation jedwede Bedeutung. Die Logik der Verwertung und der Konkurrenz wird zunehmend totalitĂ€r. (o.S.)

ad Kritik: Die Kritik, die von gebildeten BĂŒrgern kommt, ist in Wirklichkeit keine echte Kritik, sondern eine Kritik, die sie sich leisten können. Diese Art der Kritik legitimiert das System, weil es gar nicht grundsĂ€tzlich in Frage gestellt wird.

Kritisch zu sein heißt in der Regel bloß, “es sich leisten zu können”, gegebene Strukturen der Macht und sie stĂŒtzende VerhĂ€ltnisse zu hinterfragen. Dabei stellen sich die Kritiker/innen zwar intellektuell in Opposition zu den VerhĂ€ltnissen, verlassen diese aber selbst nicht. (o.S.)

ad Widerstand: Echter Widerstand wĂ€re, nicht intellektuell zu kritisieren, sondern eine VerĂ€nderung im Sein (und ich denke, dieses Sein ist ganz im Sinne von Erich Fromms Existenzweise des Seins im Gegensatz zur Existenzweise des Habens zu verstehen). Die Existenzweise des Seins ist Rebellion, Sabotage und Revolution.

Erst wenn Kritik die Grenzen des eloquent-larmoyanten Gejammers, in denen sie sich ĂŒblicherweise bewegt, ĂŒberschreitet und sich in einem verĂ€nderten Sein niederschlĂ€gt […], bedroht sie sie Strukturen der Macht tatsĂ€chlich und wird dann in der Regel ja auch entsprechend sanktioniert. (o.S.)

Spannend ist auch die Sache mit den Sanktionen. Eine Existenzweise des Seins ist echt bedrohlich und kann das System erschĂŒttern. Man merkt das z.B. auch an den Menschen, die freiwillig in Teilzeit arbeiten. Denen droht der Arbeitsminister 2023 an, die Sozialleistungen zu kĂŒrzen — weil dieser Zugang zum Leben, nur so viel zu arbeiten, wie man unbedingt braucht, fĂŒr die Wirtschaft bedrohlich ist, nach dem Motto: Stell dir vor, das wĂŒrden alle machen!?


FĂŒhre mich sanft
Beratung, Coaching & Co — die postmodernen Instrumente der GouvernementalitĂ€t (2007)

Berater spielen in der Postmoderne eine wichtige Rolle. Sie sind selbstverstĂ€ndlich und allgegenwĂ€rtig. Sie vermitteln Orientierung und letztendlich Lebenssinn. Eine Aufgabe, die frĂŒher Priester bzw. Lehrer*innen ĂŒbernommen hatten.

Als BegrĂŒndung fĂŒr diesen Beratungsboom wird hĂ€ufig mit einer zunehmenden KomplexitĂ€t des heutigen Lebens argumentiert. Aber das greift viel zu kurz. Es geht um weit mehr, nĂ€mlich: Berater haben die (neoliberale) ökonomische Logik so verinnerlicht, dass sie die ZwĂ€nge des Kapitalismus nicht mehr als vom Menschen auferlegt begreifen, sondern als naturgegeben. Damit helfen sie nicht nur gegen die UnĂŒbersichtlichkeit des postmodernen Lebens, sondern sind aktive Förderer der kapitalistischen Logik.

  • SelbstverstĂ€ndlich ist den Berater*innen das alles ĂŒberhaupt nicht bewusst.

Beim politischen Projekt des “lebenslangen Lernens” geht es zumeist nicht darum, Individuen zu befĂ€higen, die Welt beser zu verstehen und ihr Leben besser zu meistern. Es geht meist darum, dass die Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung erreicht werden können (”Standortwettbewerb”).

Marketing ist das Instrument der sozialen Steuerung in der Kontrollgesellschaft. Es geht darum, sich sein Leben lang “marktgĂ€ngig” zu halten. Berater helfen idR dabei, die FĂ€higkeiten, Fertigkeiten, StĂ€rken eines Individuums optimal an die aktuellen Erfordernisse des Marktes anzupassen.

Eine nicht-direktive Art der UnterstĂŒtzung ist die Regel. Beratung (bzw. Coaching) als Hilfe zur Selbsthilfe, als Nicht-Bevormundung. Denn: Postmoderne Berater*innen sind meist gar nicht in der Lage, eine aus fachlicher Sicht optimale Lösung vorzuschlagen. Sie argumentieren daher, dass letztendlich immer der Kunde entscheiden und seine eigenen Probleme lösen mĂŒsse. Das könne ihm niemand abnehmen — ohne ihn zu entmĂŒndigen und zu bevormunden.

Beratung, so verstanden, fördert massiv das postmoderne Bild des “unternehmerischen Selbst”. Sie fĂŒhrt zu einer “verbetriebswirtschaftlichten LebensfĂŒhrung”. Ziel der Beratung ist nicht ein wĂŒrdevolles Leben fĂŒr alle, sondern eine Verbesserung im Konkurrenzkampf, eine Optimierung der Situation relativ zu der anderer.


50 Jahre alt und seit 5 Jahren in der PubertÀt

Ein Text ĂŒber die agrarpĂ€dagogischen Akademien.

Nichts fĂŒr mich dabei.


Arbeit macht NICHT frei (2000)

ARBEIT ist in unserer Gesellschaft sehr wichtig. Sehr wichtig. “[…] sie kann ohne Übertreibung als der Kristallisationspunkt allen gesellschaftlichen Geschehens bezeichnet werden.” Arbeit ist wie eine Religion.

Und fĂŒr die MajoritĂ€t der Bewohner der Industriegesellschaften ist Arbeit auch jenes selbstverstĂ€ndliche “GelĂ€nder”, an dem entlang ihr Leben organisiert ist. (S. 5)

  • Ich sage: Das beginnt in der postmateriellen Gesellschaft des Jahres 2023 aufzubrechen. Der Wert der Arbeit wird heute neu definiert und neu verhandelt. Das bringt jene Unternehmen in die Bredouille, die noch sehr industrialistisch denken und ausgerichtet sind. Was fangen die an mit einem jungen Menschen Mitte 20, fĂŒr den Arbeit nicht mehr das Zentralgestirn seiner Existenz ist?

Das zeigt sich z.B. daran, dass auch politisch sehr oft nicht die gerechtere Aufteilung des wachsenden Reichtums der Gesellschaft gefordert wird, sondern die Schaffung und der Erhalt von ArbeitsplĂ€tzen.

FrĂŒher war Arbeit Mittel zum Zweck. Mit dem Erwachen des Selbstbewusstseins des BĂŒrgertums ist Arbeit aber “von einer bitteren Notwendigkeit zunehmend zu einer Tugend uminterpretiert worden.”

“Die Wurzeln der heutigen WertschĂ€tzung der Arbeit reichen bis in die Renaissance zurĂŒck. Damals begann in den entwickelten Kulturen Europas ein Prozess, der sch als Emanzipation des Menschen von der Vorstellung eines schicksalhaften Ausgeliefertseins an Natur und Vorsehung bezeichnen lĂ€sst. Es kam zu einer Abkehr vom bis dahin dominierenden augustinischen Menschenbild, wo wahre Tugend jenseits dessen angesiedelt war, was der Mensch aufgrund eigener Kraft erreichen kann. Tugendhaftes Verhalten erschien demgemĂ€ĂŸ nicht als Effekt des eigenen BemĂŒhens, sondern nur als Ausfluss göttlicher Gnade denkbar. Im RĂŒckgriff auf antike Vorstellungen begann sich zunehmend ein “Vertrauen in die Freiheit und StĂ€rke der menschlichen Natur” durchzusetzen. Das Besondere am Menschen wurde nun immer weniger in seiner unsterblichen Seele gesehen, sondern “in seiner FĂ€higkeit, sein Schicksal durch Intelligenz und Willenskraft zu bestimmen”. Die damit implizierte Vorstellung von der Machbarkeit menschlicher Geschichte ist jener Hintergrund, auf dem eine zunehmende Verteufelung der Faulheit und die WĂŒrdigung der Arbeit Platz greifen konnte.” (S. 7)

Wo und was man arbeitet, bestimmt heute nicht nur das Einkommen und den Lebensstandard, sondern auch das gesellschaftliche Ansehen, die gesellschaftliche Stellung und nicht zuletzt auch das SelbstwertgefĂŒhl (≠ Selbstwert).

Spannender historischer Unterschied zwischen “Werk” und “Arbeit”

  • Werk: Ein Handwerker “arbeitete” nicht, er “werkte”. Er ließ sich sein Werk auch zu einem festen Satz bezahlen. Vgl. engl. work
  • Arbeit: Wurde von Handlangern erledigt, die die groben und unqualifizierten Arbeiten ausfĂŒhrten (oft fĂŒr die Handwerker). Vgl. engl. labour
  • Damit einhergehend waren Werk und Arbeit auch mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Prestige versehen.

Arbeit bestimmt nicht nur das SelbstwertgefĂŒhl des Menschen (mit), sondern auch sein SelbstverstĂ€ndnis als Mensch. “Der Mensch der spĂ€tkapitalistisch-bĂŒrgerlichen Gesellschaft arbeitet ja keineswegs nur deshalb, um ökonomisch zu ĂŒberleben, er definiert sich ĂŒber die Arbeit.” (S. 9) HĂ€tten die Menschen keine Arbeit mehr (z.B., weil sie ein BGE hĂ€tten), dann verlören viele Menschen ihre “gesamte ideelle Existenzbasis”.

  • Wir haben verlernt, ohne Arbeit und in Muße zu leben. Weil: “Und zwar leiden wir Mangel an all jenen Aspekten des Lebens, die sich der Verwertung, d.h. der Verwandlung in ein profitbringendes Warenangebot entziehen.” (S. 12)
  • Das habe ich ja auch als ein Hauptproblem des BGE erkannt: Was machen die Menschen mit der neu gewonnenen Freiheit, mit der vielen geschenkten Zeit? Können sie damit ĂŒberhaupt umgehen?

Wir sind gefangen in unseren SelbstverstĂ€ndlichkeiten. “Worum es heute also geht, ist ein Verlassen des Denkkorsetts der Arbeitsgesellschaft.” (S. 11)

Arbeit ist dann selbstbestimmt, wenn sie freiwillig ist. Wenn man sie auch lassen kann. Wenn man nicht arbeiten muss.

  • “Politisches Ziel kann es nicht sein, um neue LohnarbeitsplĂ€tze zu kĂ€mpfen, sondern Bedingungen des Lebens, die freies, nicht entfremdetes Tun ermöglichen.” (S. 12)
  • Richtig frei ist ein Lifestyle Entrepreneur also erst dann, wenn er auch nicht verwertbare TĂ€tigkeiten tun kann. Wenn er nicht alles in ein “profitbringendes Warenangebot” verwandeln muss. Solange das nicht gegeben ist, sind die Four Freedoms nur Schein-Freiheiten.

Der Kapitalismus lebt vom permanenten Versprechen der BedĂŒrfnisbefriedigung, jedoch nicht von der tatsĂ€chlichen Befriedigung der BedĂŒrfnisse. (S. 12)

  • Das ist ein Problem auch in der Online-Business-Coaching-Branche. Ich möchte nicht wissen, wie viele (erfolgreiche?) Coaches von der AbhĂ€ngigkeit ihrer Coachees leben.

Gedanke des Philosophen und Dichters Friedrich Schlegel: Fleiß und Nutzen sind die Todesengel mit dem feurigen Schwert, die den Menschen die RĂŒckkehr ins Paradies verweigern.


Nur Arbeit, die man auch lassen kann, macht den Menschen zum Menschen

FrĂŒher, in vorkapitalistischen Gesellschaften, ging es bei der Erschaffung von Waren immer um das Schaffen von unmittelbaren und konkreten Gebrauchswerten (bzw. um Waren zum Tauschen, die man aber auch wieder gegen Gebrauchswerte eingetauscht hat). Heute ist das anders. Es geht heute um das Schaffen von Mehrwert:

Denn der eigentliche Endzweck der ganzen Veranstaltung ist nun nicht mehr die Vermittlung konkreter GĂŒter, sondern die Verwandlung von Geld in mehr Geld; die Produktion von Gebrauchswerten ist dabei zwar unverzichtbar, nichtsdestotrotz aber bloß Nebeneffekt.

Es geht nun nicht mehr darum, ob bestimmte Waren sinnvoll sind, sondern es geht darum, welche Waren den grĂ¶ĂŸten Mehrwert (DB, Gewinn
) abwerfen. Das “beste” Produkt ist das Produkt mit dem höchsten DB.

Diese Entwicklung macht aber auch was mit den Menschen, welche diese Waren herstellen. Es geht ihnen zwar materiell unvergleichbar viel besser, aber die Kosten sind Entfremdung und Sinnentleerung.

Diese Entfremdung drĂŒckt sich in einer Idealisierung der Arbeit aus, die weit ĂŒber die konkrete bedĂŒrfnisorientierte Notwendigkeit hinausgeht.

  • siehe Artikel “Arbeit macht NICHT frei”, oben.

Hand in Hand damit geht wiederum die “Weiter”entwicklung des Menschen zum homo consumens: FĂŒr ihn gilt quasi als Lebensgesetz, sich in der Arbeit zu verausgaben und in der Freizeit krĂ€ftig zu konsumieren, um die innere Leere zu fĂŒllen:

[…] die Menschen suchen etwas, was ihrem Leben Sinn zu geben vermag, und greifen in ihrer Not begierig nach den Angeboten der Warenwelt.

Freizeit fungiert heute im diesem Sinn primĂ€r als ,Motor der KonsumbedĂŒrfnisse’.

FĂŒr die Wirtschaft, die auf permanentes Wachstum ausgerichtet ist, ist das notwendig. Sie lebt davon, den Konsumenten immer neue WĂŒnsche zu suggerieren und diese an verkaufbare Produkte oder Dienstleistungen zu heften. So wird die Konsumspirale immer weiter angekurbelt.

  • Das Perfide daran ist die Botschaft: Nur, indem du kaufst, kannst du deine BedĂŒrfnisse befriedigen — sonst nicht. Nur, indem du kaufst, kannst du glĂŒcklich werden. GlĂŒck wird an Produkte geheftet. Was natĂŒrlich ein Blödsinn ist, wenn man darĂŒber nachdenkt.

Das ergibt, wĂŒrde Otto Scharmer sagen, einen Spiritual Divide, den Erich Ribolits so skizziert:

  • Nicht mehr das Individuum hat die Kotrolle ĂŒber seine BedĂŒrfnisse, sondern die “Manipulationsinstanzen der Konsumgesellschaft”.
  • Werbung und Massenmedien haben Familie und Religion abgelöst bei der Vermittlung von Weltbildern.
    • Ich wĂŒrde ergĂ€nzen: Social Media (und ihre “Scheinwelten”) ĂŒbernehmen diese Funktion heute in besonderem Maße.
  • “Heute kann man durchaus sagen, dass primĂ€r Werbe- und Marketingexperten die gĂ€ngigen Normen fĂŒr sozial korrektes Verhalten, guten Geschmack sowie die Kriterien fĂŒr Befriedigung und GlĂŒck vorgeben.”
  • Es entsteht ein chronischer, undifferenzierter emotionaler Hunger.
    • Und die Anbieter der Waren halten ihre Konsumenten absichtlich “hungrig” — auch im Online Coaching Business, wo jede Lösung gleichzeitig Hunger nach mehr macht (und laut GeschĂ€ftsmodell machen soll).

Spannend in diesem Artikel finde ich, dass Erich Ribolits zeigt, dass kapitalistisches VerstĂ€ndnis von Arbeit und unser Umgang mit Konsum Ausformungen einer Entwicklung sind. Diese beiden Sachen sind nicht unabhĂ€ngig voneinander entstanden, sondern eines bedingt das andere. Deswegen spricht Ribolits auch von einer “Arbeits-Konsum-Gesellschaft”.


Zum Unterschied zwischen Bildung und Esoterik

Bildung und BildungsbemĂŒhungen sollen im Endeffekt dazu beitragen, dass die Menschen besser mit ihrem Leben zurechtkommen. Dass sie verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind und dass sie die Dinge (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) auch verĂ€ndern können.

Dem gegenĂŒber steht die Vorstellung, dass bestimmte PrĂ€missen des Daseins (auch) durch KrĂ€fte beeinflusst werden, die der menschlichen Logik nicht zugĂ€nglich und deren Logik auch nicht beeinflussbar ist. Zugang bekommt der Mensch nicht durch Wissen, sondern durch “innere Erfahrungen”. Manche haben mehr von diesen Erfahrungen, das sind dann die Gurus, denen die weniger Erfahrenen glauben (mĂŒssen), weil es ihnen selbst ja noch an Erfahrungen fehlt.

  • E.R. nennt als Bespiele dafĂŒr (mehr oder weniger explizit) Grander-Wasser, Heilsteine, Feng Shui, Aura Reading, Astrologie, Hellsehen, Tarotkartenlegen, Schamanismus etc.

“Die angedeuteten parawissenschaftlichen Behauptungen und Glaubenssysteme sind in der Regel durchaus eingebettet in VermittlungsbemĂŒhungen, die mit Bildungsanspruch antreten. Dementsprechend schwierig ist ihr unwissenschaftlich-irrationaler Charakter fĂŒr Besucher/innen von Bildungsveranstaltungen auch zu erkennen.”

Vieles, was man frĂŒher als “Aberglauben” bezeichnet hĂ€tte, ist heute salonfĂ€hig und wird nicht nur von esoterischen Spinnern betrieben. Angeblich glaubt ein Drittel der österreichischen Bevölkerung an Astrologie und Wunder. Auch die Medien greifen diese Themen seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts dankbar auf.

Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit lassen Menschen den Glauben an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt (sprich: den Glauben an die Vernunft) verlieren: “Das allgemeine Vertrauen in die Kraft der menschlichen Vernunft ist tiefgreifend gestört.”

Spannende Folge daraus fĂŒr die Erwachsenenbildung:

“Zugleich ergibt sich fĂŒr jene Bildungsbereiche, die unter Marktbedingungen ĂŒberleben mĂŒssen — also vor allem fĂŒr die Erwachsenenbildung —, aus dem skizzierten Trend ein massiver Druck, Angebote aufzunehmen, die dem dargestellten, aus dem Gedankengut der AufklĂ€rung abgeleiteten Bildungsanspruchs nicht oder nur teilweise gerecht werden.”

  • Feng-Shui-Kurse und v.a. Ausbildungen zur Feng-Shui-Beraterin sollte es in einem aufgeklĂ€rten Erwachsenenbildungssystem gar nicht geben — nicht an der VHS und schon gar nicht am WIFI. Aber es gibt sie.

“Bildung ist etwas anderes als die Vermittlung von Glaubensinhalten.”

  • Stimmt. Das ist eine wichtige Unterscheidung!
  • Aber es zeigt halt auch, dass der Bildungssektor selbst komplett vermarktwirtschaftlicht ist. Verkauft wird nicht, was sinnvoll ist, sondern was gerne konsumiert wird.

Grundeinkommen — Bedingung der Möglichkeit von Bildung? (2005)

Die große Hoffnung, die mit dem BGE verbunden ist, formuliert ER so: “Dem Grundeinkommen wird damit zugesprochen, ein Gegenkonzept zu den Entfremdungsbedingungen des politisch-ökonomischen Systems darzustellen, in dem das Leben nahezu völlig von den PrĂ€missen des Kaufens und Verkaufens bestimmt ist.”

ER sieht das BGE aber aus einem kritischen Blickwinkel, den ich bisher nicht bedacht hatte:

  • Ein BGE macht nur innerhalb einer kapitalistischen Denklogik Sinn. Das Geld soll ja irgendwo herkommen, und dieses Irgendwo ist der Markt, das sind die Profite aus dem globalen Handel.
  • Das BGE ĂŒberwindet damit den Kapitalismus nicht, ja es stellt den Kapitalismus nicht mal in Frage — sondern es stabilisiert ihn. Wer das BGE fordert, hat sich notgedrungen — bewusst oder unbewusst — mit dem Kapitalismus abgefunden.
  • Die ganzen “freien” Solopreneure, dich mir imaginiere, wĂ€ren immer noch in der kapitalistischen Verwertungslogik gefangen. Was soll da rauskommen?
  • Echte Emanzipation wĂ€re das Durchbrechen der Verwertungslogik. Und das, so ER, leistest das BGE nicht — im Gegenteil.

ER sagt (auch in diesem Artikel), dass Bildung heute fast ausschließlich als Funktion ökonomischer Prozesse verstanden wird. Es geht kaum jemals um eine Bildung, die an der WĂŒrde des Menschen orientiert ist, sondern um Bildung, die den Einzelnen besser brauchbar und konkurrenzfĂ€higer (im ökonomischen Sinn) macht.

Wenn man ER folgt, dann dĂŒrften sich die stillen Sensitive Strivers in der Marktwirtschaft sehr schwer tun:

“In diesem Konkurrenzkampf kommt es ĂŒberhaupt nicht darauf an, was jemand macht, sondern nur darauf, wie gut sich das, was er macht, als Ware am Markt verkaufen lĂ€sst. Und im Gegensatz zur weit verbreiteten Vorstellung setzen sich dabei nicht die Besten durch, sondern die Skrupellosesten, nĂ€mlich jene, die die “KĂŒnste der Marktbeeinflussung” am kaltblĂŒtigsten einzusetzen bereit sind.”

  • Mich erinnert das (natĂŒrlich!) auch an meinen Markt, den Entrepreneurship Industrial Complex.
  • Dieses Bild ist in MĂ€rkten mit Hypercompetition natĂŒrlich besonders zugreffend. Aber es ist dennoch nicht das einzige “GesprĂ€ch”, das auf diesen MĂ€rkten gesprochen wird.

Vom sinnlosen Arbeiten zum sinnlosen Lernen

Der Artikel ist eine grundlegende Kritik, ja eigentlich eine Abrechnung mit AMS-Kursen.

Es gilt heutzutage als selbstverstĂ€ndlich, dass die WettbewerbsfĂ€higkeit eines Landes mit dem Bildungsstand seiner Einwohner korreliert. Das wird gar nicht mehr hinterfragt.

  • Nach dieser Logik ist das Bildungssystem eine Zulieferinstanz zum ökonomischen Geschehen. Das gilt natĂŒrlich ganz besonders fĂŒr die Fachhochschulen, wo diese Verwertungslogik vom 1. Semester an (als feature!) betont wird.
  • Das Lernen bzw. die Lern-AnlĂ€sse sind heute praktisch ausschließlich an der beruflichen Brauchbarkeitorientiert. ⇒ Bildung ist praktisch immer berufliche Bildung.

Lebenslanges Lernen: Du musst dich stĂ€ndig lernend fit halten, um im Konkurrenzkampf nicht ins Hintertreffen zu geraten. Passe dich möglichst gut an die aktuellen Erfordernisse des Arbeitsmarktes an! Arbeite stĂ€ndig an deiner employability!

  • Das gilt natĂŒrlich ganz besonders fĂŒr Arbeitslose.
  • Wer arbeitslos ist, der soll “wenigstens” lernen, um seine Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern und möglichst bald nicht mehr arbeitslos zu sein.
  • ER sagt, Arbeitslose mĂŒssen sich “in die Lernmaschinerie einklinken”. Es werden “riesige Summen” aus der Arbeitslosenversicherung fĂŒr Weiterbildung und Umschulung ausgegeben.

Sinnloses Arbeiten im Job und sinnloses Lernen beim AMS sind nur zwei Seiten der gleichen Medaille:

“Es gibt nichts Herzzerreißenderes als das Heimweh der Arbeitslosen nach den guten alten Zeiten, in denen sie noch hatten sinnlos arbeiten dĂŒrfen.”

GĂŒnther Anders

“Es geht nicht um die Förderung selbstbewusster Individuen. Es geht nicht um Empowerment, sondern um Employability. “Kaum wird jemals die Frage nach Bedingungen des Lernens gestellt, die Menschen ermöglichen wĂŒrden, selbstbewusst und mĂŒndig zu werden.”

Aber auch der Bildungssektor selbst entwickelt sich zunehmend zu einem profitorientierten Wirtschaftszweig. Er ist nicht mehr nur Zulieferer, er soll nun “selbst zum Verwertungssektor werden”.

  • Es findet eine “zunehmende Vermarktwirtschaftlichung des Bildungswesens” statt.
  • Das ist definitiv im “AMS-Kontext” in der Erwachsenenbildungs-Szene (”TrĂ€ger”) zu beobachten; auch im UGP.
  • Eine Folge davon: Es geht darum, die “Bildung” (z.B. an der FH) möglichst effizient hinter sich zu bringen, um den Abschluss (= Tauschwert) zu bekommen. Um den Gebrauchswert von Wissen geht es praktisch nie.
  • Eine weitere Folge: Im Bildungsbereich bestehen zunehmend nur mehr Kauf- und Verkaufsbeziehungen. Vgl. Studierende, die sich bestimmte “Services” von ihren LBs erwarten. AnspruchsdenkenWenn ich schon meine Zeit investiere, wenn ich schon zur FH komme, dann will ich auch


“Wenn Lernen nur noch als Investition ins Bewusstsein tritt, ist ihm die emanzipatorische Potenz genommen.”

  • BWL fĂŒr Solopreneure kann (muss?) mehr sein als eine Steigerung der WettbewerbsfĂ€higkeit. Es gibt auch die Chance auf eine “emanzipatorische Potenz”!

Wer nicht lernt, soll auch nicht essen!

Die Stoßrichtung dieses Artikels ist Ă€hnlich wie die des Artikels davor:

  • Vermarktwirtschaftlichung der Bildung
  • Bildung (”gesellschaftlich organisiertes Lernen”) ist meistens nur mehr berufliche Bildung.
  • Lernen soll nicht emanzipieren, sondern der Verwertungslogik unterwerfen: “Unter Lernen wird bloß noch bewusstlose Anpassung verstanden.”

Es ist eigentlich eine paradoxe Situation:

“In diesem Sinn wird auch die Tatsache, dass ArbeitnehmerInnen, die arbeitslos werden, nicht einfach ihre fĂŒr diesen Fall vorgesehene Versicherungsleistung in Anspruch nehmen und im Übrigen darauf warten dĂŒrfen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, kaum je hinterfragt.”

  • So jemand wĂ€re bald zum Tachinierer abgestempelt. Obwohl er ja nur seine Versicherungsleistung in Anspruch nehmen wĂŒrde. Der gesellschaftliche Druck ist enorm, weil Arbeit zu einer Religion geworden ist.

Arbeitslosigkeit ist total stigmatisiert: “Der dem ehemaligen Amerikanischen PrĂ€sidenten, Bill Clinton zugeschriebene Satz, jeder Job ist besser als keiner, ist zum allgemein anerkannten Glaubensbekenntnisgeworden.”

“Sobald Lernen “in die Pflicht genommen” und unter PrĂ€missen organisiert wird, die nicht an den humanen BedĂŒrfnissen der Subjekte, sondern an politischen und ökonomischen Interessen ausgerichtet sind, wirkt es entmĂŒndigend.”

  • Lernen ist also nicht nur nicht emanzipierend, es ist in dieser Logik sogar entmĂŒndigend. Es wĂ€re in diesem Kontext besser, nicht zu lernen — zumindest nicht “gesellschaftlich organisiert”.


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