Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst (2007) 📙

U

Einleitung

Die Forderung, „jeder solle sich bis in den letzten Winkel seiner Seele zum Unternehmer in eigener Sache mausern”, wird von Motivationsgurus und Selbstmanagementtrainern gestellt, aber auch von Wirtschaftswissenschaftlern, Bildungsexperten und Trendforschern, sagt UB (S. 7).

  • Ich ergĂ€nze: Auch von immer mehr LehrerInnen, Jugendcoaches, AMS etc. (vgl. EBCL LifeManagement und deren Fans; die gehen durch alle Bevölkerungsschichten, da gibt es kaum Widerspruch, das ist „common sense”.) 
  • Ich ergĂ€nze: Auch von Proponenten der Zivilgesellschaft, vgl. Wolf Lotter

S. 7: Das unternehmerische Selbst „ist ein BĂŒndel an Deutungsschemata” aus:

  • normativen Anforderungen
  • Rollenangeboten und Vorbildern
  • institutionellen Arrangements
  • Sozial- und Selbsttechnologien
  • Mit anderen Worten: „Das unternehmerische Selbst ist ein Leitbild.” (S. 7)

„Unternehmerisch” wird im politischen Kontext gerne synonym verwendet fĂŒr „Eigeninitiative” und „Selbstverantwortung”. (S. 8)

  • Wenn der Politik bzw. den traditionellen Institutionen (Schulen, AMS, WKO) die Antworten ausgehen, dann appellieren sie an die Selbstverantwortung: Wenn wir dir nicht mehr sagen können, was du tun sollst, dann (und nur dann) wirst du wieder deines GlĂŒckes Schmied. 
  • Das Problem ist nur: Wie soll jemand am Ende der Fahnenstange unternehmerisch denken und handeln können, wenn er es bis dahin nie gelernt hat? Dieselben Institutionen, die unternehmerisches Denken und Handeln als ultima ratio fordern, haben genau das nicht gefördert bzw. verhindert, solange es ihnen lĂ€stig war.  Erst, wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind, delegieren sie die Verantwortung auf den Einzelnen zurĂŒck (und putzen sich damit ab). 
  • Der Forderung nach Selbstverantwortung haftet damit immer ein starker Zynismusverdacht an.

„Unternehmerische Wissensgesellschaft” (S. 8): Da werden zwei gewichtige Schlagwörter kombiniert; in dem zitierten Kontext ist es politische SchaumschlĂ€gerei, aber ist da vielleicht etwas dran an dieser Kombination?

  • Ist die Wissensgesellschaft (besonders im Sinne der knowledge worker von Peter Drucker) ohne die Unternehmer denkbar, die sie hervorzubringen das Potenzial hat? 
  • Ist es die Wissensgesellschaft, wie Drucker sie meint, ĂŒberhaupt denkbar, wenn in ihr nicht auch Edupreneure (als eine Ausformung) entstehen?
  • Werden nicht bestimmte Formen des Unternehmertums erst durch die Wissensgesellschaft und knowledge work ermöglicht?
  • Bedingt hier eines das andere? Was ist Ursache, was ist Wirkung?

Der Staat sieht es als seine Aufgabe, das Umfeld zu schaffen, den Rahmen zu bilden, damit diese unternehmerisch denkenden Menschen fĂŒr sich selbst Sorge tragen können. (S. 8)

  • Gleichzeitig haben wir in Europa, besonders in Österreich, auch den Sozialstaat, den niemand so leicht aufgeben will – auch nicht die liberalsten Politiker (und sei es nur deswegen, weil sie um ihre WĂ€hlerstimmen bangen). 
  • Wir sind in Europa nicht in den USA, wo dieser liberale Gedanke ganz stark ausgeprĂ€gt ist und wo er nicht mehr hinterfragt wird.
  • Wir haben in Europa die Chance, die Selbstverantwortung mit einer Verantwortung gegenĂŒber der Gesellschaft und der Gesellschaft gegenĂŒber uns zu kombinieren. Nur ist das gar nicht so einfach zu denken und noch schwerer in ein praktisches Denk- und Handlungsmodell zu gießen. Das muss man erst mal begreifen und dann vermitteln können! Da ist es leichter, auf ideologische Schwarz-Weiß-Malerei zurĂŒckzufallen. Nur findet man darin selten die Antworten fĂŒr eine komplexe Zukunft.
  • Gleichzeitig will uns „der Staat“ schon auch unter Kontrolle haben, gĂ€ngeln, „beherrschen“.

UB spricht in Bezug auf das unternehmerische Selbst von einem „Kraftfeld” (S. 8), das den Einzelnen in seinen Bann zieht und auf den es einen Sog auswirkt – vor allem auf sein Verhalten.

„Das Kraftfeld des unternehmerischen Selbst speist sich aus vielen Quellen” (S. 9). Es ist nicht nur ein politisches Thema – aber es wird auch in der Politik instrumentalisiert.

WICHTIG: Das ist KEIN Buch ĂŒber Lifestyle Entrepreneure! In diesem Buch geht es nicht um unternehmerisch handelnde Subjekte, sondern um das unternehmerische Selbst als Instrument der HerrschaftsausĂŒbung!

  • „Untersucht wird also das Regime der Subjektivierung, nicht was die diesem Regime unterworfenen und in dieser Unterwerfung sich selbst als Subjekte konstituierenden Menschen tatsĂ€chlich sagen oder tun. Die Frage lautet nicht, wie wirkmĂ€chtig das Postulat, unternehmerisch zu handeln, ist, sondern auf welche Weise  es seine Wirkung entfaltet.” (S. 10)
  • Damit fehlt fĂŒr mich ein wichtiger Teil des Bildes.
  • In diesem Buch erfahre ich also etwas ĂŒber das „Kraftfeld”, aber nicht darĂŒber, wie die Menschen in diesem Kraftfeld agieren, wie es ihnen damit geht, wie gut oder schlecht sie damit zurecht kommen – und auch nicht, wie sie dieses Kraftfeld ev. sogar nĂŒtzen können, um ihre eigenen Lifestyle Businesses voranzubringen.
  • Es ist wichtig, dass ich diese EinschrĂ€nkung bei Lesen immer im Auge behalte.

Das unternehmerische Selbst ist ein Ideal, das nie erreicht werden kann!

  • „Es geht im Folgenden nicht nur um das, was die Einzelnen tun sollen und wie sie dazu in die Lage versetzt werden, sondern auch darum, dass ihre Anstrengungen immer wieder fehlgehen und die den Anforderungen niemals vollends genĂŒgen können.” (S. 11)
  • Einerseits: Ein Ziel, das sich nie erreichen lĂ€sst, ist keine gute Leitlinie fĂŒr ein gelungenes Leben.
  • Andererseits: Ist das nicht das Charakteristikum jedes Ideals, dass es sich nie ganz erreichen lĂ€sst? Gilt das nicht fĂŒr das Leben an sich, dass man seinen Anforderungen nie ganz genĂŒgen kann?
  • Inwiefern ist das unternehmerische Selbst also anders, schlechter, „gefĂ€hrlicher” als andere gesellschaftliche Ideale?

Das Ideal des unternehmerischen Selbst ist im Kontext zu sehen mit der generellen Dynamik der Ökonomisierung des Lebens. (S. 11)

Das unternehmerische Selbst ist gezwungen, frei zu sein. Es hat sich diese Freiheit nicht ausgesucht, es ist gezwungen, fortwÀhrend zu wÀhlen. (S. 12)

Der Arbeitskraftunternehmer (S. 12)

  • Der Einzelne ĂŒbernimmt die unternehmerische Verantwortung fĂŒr seinen Produktionsfaktor Arbeitskraft und vermarktet sich möglichst optimal am Arbeitsmarkt. Dazu gehören Karriereplanung und „strategische Entscheidungen“, z.B. den Arbeitgeber zu wechseln und wo anders neue Erfahrungen zu sammeln. 

„Das unternehmerische Selbst ist ein Abkömmling des homo oeconomicus“ (S. 12)

„Die Fabrikation des unternehmerischen Selbst operiert mit Erfolgsversprechen und Ansturzdrohungen“ (S. 12)

  • Ja, eh. Das sind die Kampfmittel jeder Ideologie. Warum sollte es hier anders sein. 

I. Genealogie der Subjektivierung – ein Forschungsprogramm

Wie man zum Subjekt wird:

  • „Ein Subjekt zu werden ist ein paradoxer Vorgang, bei dem aktive und passive Momente, Fremd- und Eigensteuerung unauflösbar ineinander verwoben sind.” (S. 19)
  • „Der Mensch wird zum Subjekt, weil er sich zu dem erst machen muss, was er schon ist, weil er das Leben fĂŒhren muss, welches er lebt.” (S. 19)

Foucault: Auf das Subjekt wird Macht ausgeĂŒbt. Diese MachtausĂŒbung „stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht es mehr oder weniger wahrscheinlich, im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollstĂ€ndig”. (S. 20)

  • Der Einzelne ist in Machtstrukturen verstrickt und verwoben. Diese „MĂ€chte” bestimmen mit, wie weit der Einzelne mit seiner Selbst-Werdung kommen kann/darf bzw. in welche Richtung sie gehen soll.
  • Es liegt nicht alleine in unseren HĂ€nden. Es liegt lediglich in unserer Macht, die SpielrĂ€ume, welche die Machtstrukturen bieten, voll und ganz und fĂŒr unsere Zwecke auszunutzen.
  • Machtstrukturen: Politik, Gesellschaft, Schule, Familie, Eltern, Beziehungen, Wirtschaftssysteme, Arbeitgeber, Wirtschaftskammer, …

„Zum Selbst werden” ist eine total rekursive, selbstbezogene (und letztlich auch unabschließbare) Arbeit. „Der Gegenstand, dem [die Arbeit] gilt, und der Arbeiter, der sie leisten soll, fallen zusammen.” (S. 22)

  • Das Objekt, das bearbeitet wird, bin ich selbst. Der Arbeiter bin ich auch selbst. Dadurch entstehen notwendigerweise viele SelbstbezĂŒge – aber auch viele innere WidersprĂŒche und Konflikte.
  • Kann man „Selbstbezogenheit” jemanden zum Vorwurf machen, der sich mit sich selbst beschĂ€ftigt (vgl. Gen Y)?
  • In wie weit können Externe („Lebensberater”) in diesen Prozess ĂŒberhaupt sinnvoll eingreifen? Können Sie die Selbstbezogenheit sinnvoll lenken? Oder sind sie auch nur ein Artefakt der Machtstrukturen? Oder sind sie Helfer/Komplizen?

Der Prozess der Subjektivierung ist unabschließbar. (S. 22)

  • Das Projekt Leben wird nie fertig. (Außer durch den Tod beendet. Deswegen gehört der auch so notwendig dazu!)
  • FĂŒr Selbstoptimierung gibt es keine natĂŒrlichen Grenzen.
  • „Lebenslanges Lernen” greift diesen Gedanken auf und macht ihn zum „common sense”.
  • Ist das eine Zumutung fĂŒr den Menschen, oder ist das sein grĂ¶ĂŸtes Geschenk? (Oder ist es beides?)

Individualisierung = der Einzelne findet heraus, was ihn von anderen unterscheidet. (S. 23)

  • Das geschieht durch Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung.
  • Der Einzelne wird zur „Marke”, mit einer USP.
  • Daher: Individualisierung und Subjektivierung sind nicht das Gleiche. UB versteht Individualisierung als einenModus der Subjektivierung.

„Individuum-Sein wird zur Pflicht” (Niklas Luhmann; S. 24)

  • Die USP zu finden, ist der prototypische Rat an GrĂŒnder, besonders an EPU.
  • Die USP zu finden, wird auch allen geraten, die sich am Arbeitsmarkt bewerben.
  • VM empfiehlt sogar im Prozess der Partnersuche seine USP zu finden, um „erfolgreich“ zu sein.
  • Es geht um Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit.
  • Individualisierung ist Resultat und Grund der Wettbewerbsgesellschaft. Im Konkurrenzkampf um Jobs, Aufmerksamkeit, 
 muss man unverwechselbar sein, muss man auffallen, um einen Vorteil zu haben.
    • Vgl. „Du musst nicht besser sein, nur anders.“

Die Herausforderung fĂŒr das Individuum: Das plurale Selbst wird niemals damit fertig, „seine Elemente zu einer kohĂ€renten Einheit zu versammeln”. (S. 24)

  • Vgl. die schwierige Aufgabe, „seine eigene Story” zu schreiben und sowas wie einen roten Faden in den ZufĂ€lligkeiten des Lebens zu finden. Jeder hat sooo viele verschiedene Erkenntnisse darĂŒber, wer er/sie ist, was ihn/sie ausmacht.
  • Ist es nicht fĂŒr den Einzelnen eine völlig ĂŒberfordernde Aufgabe, diese „kohĂ€rente Einheit” zu finden? Noch dazu, weil sich die Elemente im Laufe des Lebens auch immer wieder verĂ€ndern?
  • Der Mensch wird zum „Produkt” (oder, weniger industriell, zur „Marke”). Ein Produkt hat klare Eigenschaften und einen klaren Nutzen. Weil das Produkt fixiert ist, kann man auch eine Story des Produktes fabrizieren. Weil das Produkt fix ist, lĂ€sst es sich auch vermarkten. Wenn etwas im Fluss ist, wenn es uneindeutig und vielleicht sogar widersprĂŒchlich ist, wird es schwer mit der Vermarktung. 
  • => Erst die Individualisierung macht es möglich, sich selbst zu vermarkten. Wenn alle gleich sind, gibt es keinen Markt (zumindest keinen Markt, der den Einzelnen favorisiert).

Individuen haben heute bisher ungeahnte Wahlmöglichkeiten, aber sind gleichzeitig auch in gleichem Maße WahlzwĂ€ngen unterworfen. (S. 26)

  • Ulrich Beck: „Die Menschen sind zur Individualisierung verdammt.“
  • Wahlzwang kann zu Überforderung und Paralyse fĂŒhren.

„Zwang zur Individualisierung bedeutet schließlich auch, die Verantwortung fĂŒr das eigene Scheitern sich selbst zurechnen zu mĂŒssen.” (S. 26)

  • Verantwortung fĂŒr das eigene Scheitern muss selbst ĂŒbernommen werden („Du hast dich ja so entschieden”) -> aus Angst vor dieser Anklage ziehen es junge Menschen vor, sich lieber gar nicht zu entscheiden.

Die Aufgabe, ja die Pflicht zur Subjektivierung und Individualisierung ist herausfordernd, ja ĂŒberfordernd. Es ist ein Wechselspiel zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und dem, was der Einzelne daraus zu machen versucht. Deshalb wendet sich der Einzelne an AutoritĂ€tsinstanzen, die ihm den Weg weisen sollen, die ihm sagen sollen, wo es lang geht. Aber sehr hĂ€ufig kommt da nichts Brauchbares. (S. 30)

  • Blogger, Podcaster, „Gurus”, Influencer, sind neue Formen dieser AutoritĂ€tsinstanzen.
  • Menschen suchen nach Problemlösungen, nicht nach ProblemerlĂ€uterungen.

„Ein Subjekt zu werden ist etwas, dem niemand entgeht und das zugleich niemandem gelingt.” (S. 30)

  • Es ist eine kollektive Aufgabe. Sie betrifft jeden.
  • Insofern muss jeder durch diese Gasse. Das Thema ist ein Evergreen.

„Selbsttechnologien” (S. 31) – ein interessantes Wort

Es gibt hier keine einfachen Reiz-Reaktions-Automatismen. Es gibt einen Sog, der bestimmte Verhaltensweise wahrscheinlicher macht als andere. (S. 38). Und: Es gibt immer auch WiderstÀnde:

  • „Programme ĂŒbersetzen sich niemals bruchlos in individuelles Verhalten; sich ihre Regeln anzueignen, heißt immer auch, sie zu modifizieren. Der Eigensinn menschlichen Handelns insistiert in Gestalt von Gegenbewegungen, TrĂ€gheitsmomenten und Neutralisierungstechniken.” (S. 40)

„Subjektivierungsregime brauchen Subjektivierungsregisseure.” (S. 41)

  • Klassisch: Seelsorger, Lehrer, Ärzte
  • Neu: Berater, Gutachter, Therapeuten, Trainer
  • Sie alle sind „Experten der SubjektivitĂ€t”, weil sie die Frage nach dem Sinn des Lebens (existenzielle Frage) in das technische Problem transferieren, wie Schwierigkeiten möglichst effizient zu „managen” sind und „QualitĂ€t des Lebens” gesteigert werden kann.
  • Selbstmanagement/Lifemanagement als neue Antwort auf die Ă€ltesten Fragen der Menschheit? Selbstmanagement/Lifemanagement als neue „Religion”, die Sinn gibt – aber ohne spirituelle Energie?

Prozess der Professionalisierung und Ausdifferenzierung (S. 41f)

  • „Um herauszufinden, wer man ist, braucht man offensichtlich jemanden, der es einem sagt; um dazu zu werden, jemanden, der einem dabei hilft.” (S. 42)
  • Zugleich „konstruiert jedwede professionelle Hilfe zuallererst HilfsbedĂŒrftige”. Sie unterstellt HilfsbedĂŒrftigkeit und stellt diese Unterstellung gar nicht mehr in Frage!

„Die Genealogie der Subjektivierung weiß nicht, ob es ein Jenseits der Regierungen des Selbst gibt, aber sie insistiert darauf, die Zumutungen sichtbar zu machen, welche die Subjektivierungsregime den Einzelnen abverlangen.” (S. 44)

  • Es sind Zumutungen!
  • Genealogie = Ahnenforschung, Erforschung des Ursprungs

„Die vorliegende Studie […] untersucht ein Subjektivierungsmodell, in dem sich, so die im Weiteren zu explizierende These, eine Vielzahl gegenwĂ€rtiger Regierungs- und Selbstregulierungspraktiken verdichten: das unternehmerische Selbst.” (S. 45)


2. Konturen des unternehmerischen Selbst – eine Spurensuche

Die Ich-AGs arbeiten stÀndig am Kurswert der eigenen Aktie. (S. 46)

  • Ziel ist die Wertsteigerung – bis ins Unendliche?
  • „Wert” ist dabei nicht nur Vermarktungswert (= Arbeitskraft); Wert = WertschĂ€tzung

Das unternehmerische Selbst gibt es in der RealitÀt gar nicht. Man wird es nirgends finden. (S. 46)

  • „Das unternehmerische Selbst bezeichnet ĂŒberhaupt keine empirisch beobachtbare EntitĂ€t, sondern die Weise, in der Individuen als Personen adressiert werden, und zugleich die Richtung, in der sie verĂ€ndert werden und sich verĂ€ndern sollen.“
  • Das Unternehmerische Selbst ist „kein Werkzeug zur Beschreibung der Wirklichkeit, sondern ein Instrument, sie zu verĂ€ndern”. (S. 48)
  • Das ist nicht ganz leicht zu kapieren.

„Ein unternehmerisches Selbst ist man nicht, man soll es werden.” (S. 47)

  • „nicht vorfindbar, sondern hervorzubringend“
  • Dieses Ideal ist gerade ausgesprochen zeitgeistig.

Zunehmende Verbetrieblichung der alltĂ€glichen LebensfĂŒhrung (S. 48)

  • Und ob! Genau das mach doch ein LifeManager: Haushaltsplan, Budgetcontrolling, Lebensplanung, -vision, -strategie
 = Aufgaben eines Betriebes, einer „Ich-AG“
  • Es wird unwidersprochen hingenommen, wenn man sagt: Eine Familie, das ist wie ein kleiner Betrieb.
  • „Der Ökonomisierungsdruck erfasst alle Bereiche des Alltags.” (S. 48)
  • Weiterlesen: Hans J. Pongratz, G. GĂŒnter Voß: Fremdorganisierte Selbstorganisation (1997)

„Die Tendenz zu gesteigerter Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung […] lĂ€sst sich demnach insbesondere  in zukunftstrĂ€chtigen Erwerbsfeldern wie […] im Weiterbildungs- und Beratungssektor nachweisen [
].” (S. 49)

  • Das unternehmerische Selbst ist also besonders fĂŒr Edupreneure relevant. Das hatte ich schon vermutet.

„Die prekĂ€re Variante des Arbeitskraftunternehmers schließlich bildet das wachsende Heer der KleinselbstĂ€ndigen, die sich arbeitsagenturgefördert oder ohne staatliche Anschubfinanzierung durchschlagen  – ohne große Aussicht, damit irgendwann zu jenem Wohlstand zu gelangen, den man einmal mit der Gestalt des Unternehmers assoziierte.” (S. 49)

  • Das trifft leider definitiv auf einige TeilnehmerInnen des UGP zu.
  • Das trifft ganz sicher auch auf einige (die meisten?) Edupreneure zu.
  • Wie sieht das in Hinblick auf Lifestyle Entrepreneure aus? Ist es unvermeidbar, dass der Lifestyle Entrepreneur auf (finanziellen) Wohlstand verzichten werden muss?

„Konsumistischer und unternehmerischer Imperativ fielen zusammen: Als Konsument sollte der Einzelne sein Genusskapital akkumulieren und hatte sich zu diesem Zweck so innovativ, risikobereit und entscheidungsfreudig zu erweisen, als mĂŒsse er ein Unternehmen zum Markterfolg fĂŒhren.” (S. 51)

  • Interessanter Gedanke: Der „Triumph des Unternehmers” kommt eigentlich auch der Logik des Konsumismus. Die IndividualitĂ€t entsteht im Privaten und darin vor allem ĂŒber den Konsum. Durch das, was ich konsumiere, unterscheide ich mich von anderen. 
  • Und: Um die Mittel aufzubringen, die ich fĂŒr den Konsum brauche, muss ich mich unternehmerisch verhalten. Dabei geht es aber mMn nicht nur um Geldmittel, sondern auch um Vision und KreativitĂ€t . Ich muss meinen Konsum so strategisch planen wie ein Unternehmen, damit ich im Privaten individuell und unterscheidbar bin, damit ich meine USP habe.
  • Diese USP ist notwendig, weil fĂŒr uns Menschen Status so enorm wichtig ist (vgl. Seth Godin). Der Status im Privaten definiert sich also ĂŒber die Einzigartigkeit meines Konsums. Und um hier einzigartig zu sein, braucht es unternehmerisches Denken und Handeln.
  • Das ist wirklich ein ganz spannender Gedanke. Er kommt ĂŒbrigens nicht von Bröckling, sondern von einem Artikel von Paul Thibaud: The Triumph of the Entrepreneur (1984)

„Dabei konnte er jene Verhaltensdispositionen einĂŒben, die ihm auch in anderen Lebensbereichen zugute kamen.” (S. 51)

  • Es endet also nicht beim privaten Konsum – im Gegenteil. Das ist erst der Startpunkt.
  • „Von einem Unternehmer im Dienste des eigenen Genusses kann man zu einem Unternehmer im Allgemeinen werden.” (Thibaud)

„Zwischen dem Streben nach Selbstverwirklichung und dem nach wirtschaftlichem Erfolg klaffte nicht lĂ€nger ein unversöhnlicher Gegensatz, beide verstĂ€rkten sich vielmehr gegenseitig.” (S. 52)

  • Das ist wirklich spannend. Das unternehmerische Denken und  der Kapitalismus wandern also quasi die BedĂŒrfnispyramide hinauf. Sie beginnt bei materiellen Dingen und erreicht schließlich sogar die DomĂ€ne der Selbstverwirklichung.
  • Wieder unterstelle ich hier das Streben nach Individualismus und Unterscheidbarkeit als grundlegenden Antrieb. Unternehmerisches Denken ist einfach dafĂŒr geeignet, diesen Antrieb erfolgreich zu fĂŒttern. Es ist ein Erfolgsrezept! Der Kapitalismus ist ein Erfolgsrezept! Klar, dass es auch in der DomĂ€ne der Selbstverwirklichung Fuß fassen konnte.
  • Nur entstand damit halt ein Problem: Selbstverwirklichung und wirtschaftlicher Erfolg wurden (und werden) gleichgesetzt. Der Prozess wurde verkĂŒrzt auf: Finanzieller Erfolg = Selbstverwirklichung. Und umgekehrt: Selbstverwirklichung („Folge deiner Leidenschaft!“) => Finanzieller Erfolg. Und diese Formeln sind bis heute sehr prĂ€sent.
  • Nur: Das kann sich nicht ausgehen! Denn: Bin ich kein „richtiger”, „vollwertiger” Mensch, wenn ich (gerade) keinen finanziellen Erfolg habe? (Vgl. Menschen in Arbeitslosigkeit; GrĂŒnder/Unternehmer, die mit ihrem Unternehmen scheitern, etc.) Was ist, wenn ich mit meiner Leidenschaft nicht reich und erfolgreich werde?
  • Dieses Spiel lĂ€sst sich nicht gewinnen. Es fĂŒhrt nur zu einem immer galoppierenderen Konsum, was im Endeffekt fĂŒr die Klimakatastrophe verantwortlich ist. Und diese Katastrophe hat ihr GrundĂŒbel in der verkĂŒrzten Formel „Konsum = Selbstverwirklichung = GlĂŒck”.
  • Diese industriekapitalistische Welt- und Menschensicht beruht darauf, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen untergraben (Philipp Blom) – die materiellen, aber auch die psychologischen. Das Erfolgsrezept wirkt also nur kurzfristig. Langfristig fĂŒhrt es uns in die Hölle.

Eine weitere Folge dieser Entwicklung: Umkehrung von Mittel und Zweck

  • „Nicht lĂ€nger erschien die Ökonomie als ein Instrument im Dienste der Gesellschaft und ihrer politischen Institutionen, fortan sollte vielmehr die Gesellschaft und ihre politischen Institutionen dem Imperativ der Ökonomie gehorchen.” (S. 52)
  • Auf den Punkt gebracht als: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.
  • Das ist in der Corona-Krise 2020 prĂ€senter denn je: Das Wichtigste ist, dass die Wirtschaft sich derfĂ€ngt. Das ist ziemlich unhinterfragt, auch bei den GrĂŒnen. Das ist Common Sense.

Parallel dazu: Übergang vom Wohlfahrts- zum aktivierenden Staat (S. 52)

  • Menschen sollen „in Arbeit gebracht” werden. Das AMS setzt „Aktivierungsmaßnahmen”. 
  • Aktuell: Zur Reintegration der vielen Corona-bedingten Arbeitslosen setzt man eher auf Umschulungen als auf eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Es soll möglichst unattraktiv sein, „nicht aktiv” zu sein.

Nicht unterschÀtzen sollte man in diesem Zusammenhang den Einfluss der USA und GB in den Achtzigerjahren. (S. 53)

  • „Dass jede und jeder zum Unternehmer des eigenen Lebens werden sollte, lag in der Logik von Thatcherism und Reaganomics, welche die individuelle Selbstverantwortung an die oberste Stelle der politischen Agenda setzten [
].” (S. 52)
  • Es ging um die Etablierung einer „enterprise culture”.
  • Reagan (1985): neue „Ära des Unternehmertums”: „Unternehmerisch zu handeln, ist nichts ausschließlich Amerikanisches, aber Unternehmergeist scheint stĂ€rker in unserer Natur zu liegen als sonst irgendwo auf der Welt.” (S. 54)
  • DarĂŒber habe ich mir weitere Gedanken gemacht: Wo sind die europĂ€ischen / österreichischen Denker und Gurus?

Ein verstörendes Paradoxon: „Sich als handlungsmĂ€chtiges Subjekt zu imaginieren, statt sich den KrĂ€ften des Marktes wehrlos ausgeliefert zu fĂŒhlen, wird gleichbedeutend damit, sich konsequent als Marktsubjekt zu verhalten.” (S. 56)

  • Gegen den Markt zu rebellieren bedeutet gleichzeitig, ihn als existent anzuerkennen.
  • Der Markt ist nur so mĂ€chtig, wie Menschen versuchen, ihn fĂŒr sich zu nutzen bzw. ihn zu ĂŒberlisten. Indem man versucht, sich dem Markt zu entziehen, akzeptiert und bestĂ€rkt man erst die Existenz des Marktes.

Neue SelbstĂ€ndige: „Das Mehr an Selbstbestimmung erkaufen Sie mit einem Weniger an sozialer Absicherung.” (S. 57)

  • Weil sie ihre GeschĂ€ftsbeziehungen selbst organisieren mĂŒssen, wird Kommunikationsarbeit zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer TĂ€tigkeit.

Das unternehmerische Selbst spricht die SehnsĂŒchte von Menschen an: „Zu einer hegemonialen Gestalt konnte das unternehmerische Selbst […] nur werden, weil sie an ein kollektives Begehren nach Autonomie, Selbstverwirklichung und nichtentfremdeter Arbeit anschloss. Ohne die utopischen Energien […] hĂ€tte dieses Rollenmodell niemals eine solche Anziehungskraft entwickeln können.” (S. 58)

  • Diese SehnsĂŒchte bestehen weiter. Wenn das unternehmerische Selbst keine gute Antwort ist – was ist es dann? Oder ist das die falsche Frage?

„Die Individuen sollen ihre Macht ĂŒber sich selbst, ihr SelbstwertgefĂŒhl und Selbstbewusstsein und ihre Gesundheit ebenso maximieren wie ihre Arbeitsleistung und ihren Wohlstand; sie sollen das umso besser können, je aktiver und selbstverantwortlicher sie ihr Leben in die Hand nehmen; und sie sollen professionelle Hilfe suchen, wenn sie mit all dem ĂŒberfordert sind.” (S. 61)

  • Das ist das Nutzenversprechen, das „Glaubensbekenntnis” des Life Management, der kleinen Unternehmer, die die Welt verĂ€ndern.
  • Das ist auch die Kernidee von Zivilgesellschaft und Zivilkapitalismus.
  • Das ist auch das, was die attraktive Utopie ist: Wir haben unser GlĂŒck selbst in der Hand. Es kommt nur darauf an, was wir daraus machen!
  • Das entspricht paradoxerweise auch den Werten der „Therapiekultur”: Psychologen, Berater, Coaches, 
 haben ein Interesse daran, dieses Ideal am Leben zu erhalten, weil es ihre Arbeit legitimiert und auch materiell ermöglicht.
    • Wolf Lotter wĂŒrde das ganz anders sehen. In der Wissensgesellschaft sind die AnsprĂŒche eben anders.
  • Insofern haben wir da viel Selbstbezug: Berater beraten Berater, die Berater beraten.
  • Jedes Modell, das interessengeleitet ist, hat eine Agenda. So wird aus einer Utopie eine Ideologie – weil sie denen nĂŒtzt, die sie vertreten.

„Selbstmanagement beruht in wesentlichen Teilen auf der Überzeugung, das erreichen zu können, was man erreichen will.” (S. 68)

  • Ohne diese Überzeugung hĂ€tte Selbstmanagement keinen Sinn.
  • Das bedeutet aber gleichzeitig auch: Wenn du das, was du willst, (noch) nicht erreicht hast, dann musst du dein Selbstmanagement verbessern! Du musst produktiver/effektiver werden! Nicht die Umwelt ist schuld, sondern es liegt an dir. Denn alles andere wĂ€re ja eine Opfer-MentalitĂ€t.
  • Das ist auch das, was Brian Little meint mit: Sind die Kabel angesteckt? Du kannst optimieren was du willst, wenn du das, was du erreichen willst, nicht erreichen kannst, dann wird es dir nicht gelingen.
  • Selbstmanagement muss also ausgeglichen werden mit einem realistischen GespĂŒr dafĂŒr, was fĂŒr den Einzelnen ĂŒberhaupt mach- und erreichbar ist.

„Permanente Weiterbildung, lebenslanges Lernen, persönliches Wachstum – die Selbstoptimierungsimperative implizieren die Nötigung zur kontinuierlichen Verbesserung. Angetrieben wird dieser Zwang zur SelbstĂŒberbietung vom Mechanismus der Konkurrenz.” (S. 71f)

  • Ich finde, hier geht er zu weit. Weiterbildung, Lernen und Wachstum rein als Instrumente der Disziplinierung zu sehen, ignoriert aus meiner Sicht den intrinsischen Impuls des Menschen nach Wachstum und Entwicklung. Sieht man ja bei Kindern: Der Mensch will lernen, will sich entwickeln, will wachsen. Dieser Aspekt wird hier völlig ausgeklammert.
  • Es stimmt schon: In dieser Sichtweise ist keine Freiwilligkeit dabei. Er spricht von „Nötigung”. Der Einzelne hat keine Wahl. Es geht nicht darum, dass er wachsen will, sondern er wird zum Wachstum genötigt. Das ist halt schon ein großer Unterschied.
  • Und dennoch: Mich stört, dass dieser erste Aspekt so komplett ausgeklammert wird. Damit wird mir das Bild zu einseitig.

„Sichtbar geworden ist schließlich auch die dunkle Seite der unternehmerischen Selbstoptimierung: Die dauernde Angst, nicht genug oder nicht das Richtige getan zu haben, und das unabstellbare GefĂŒhl des UngenĂŒgens gehören zum Unternehmer in eigener Sache [
].” (S. 74)

  • Ja, das US ĂŒberfordert. Dabei gibt es tatsĂ€chlich dunkle Seiten und unerwĂŒnschte Nebenwirkungen. 
  • Es ist fraglich, ob Lifestyle Entrepreneure in der Summe wirklich glĂŒcklicher sind. Eine Frage, die weh tut.

„Die Anrufung des unternehmerischen Selbst macht auch vor jenen nicht Halt, in deren Ohren selbst bescheidene Verheißungen wie blanker Hohn klingen mĂŒssen, weil ihnen ihre ÜberflĂŒssigkeit tagtĂ€glich vor Augen gefĂŒhrt wird.”

  • Gemeint sind: Langzeitarbeitslose, benachteiligte Jugendliche und wohl auch FlĂŒchtlinge
  • Wirklich erstaunlich, welche Anziehung unternehmerischen Konzepte auf jene ausstrahlt, die fĂŒr diese Personengruppen verantwortlich sind. Sie sind von dem Wunsch beseelt, dass diese „schwierigen Zielgruppen” endlich ihr Leben selbst in die Hand nehmen und sich damit das Leben derer erleichtern wĂŒrde, die sich mit ihnen beschĂ€ftigen mĂŒssen. Die Zauberformel des „Sei der KapitĂ€n deines eigenen Lebens” ist wirklich zu verlockend.
  • Das kann aber ganz leicht in Zynismus abgleiten. 
  • Vgl. Life Management: Die Grenze zwischen ehrlich empfundener Hilfe und UnterstĂŒtzung und einer Zumutung von jemandem, der ĂŒberhaupt nicht versteht, wie es einem Langzeitarbeitslosen geht, ist sehr, sehr schmal. Weißt du eigentlich wirklich, wozu du da die Hand reichst?

3. RationalitÀt

3.1 Die Wahrheit des Marktes. Facetten des Neoliberalismus

„Unternehmer gibt es nur, wo es MĂ€rkte gibt; unternehmerisches Handeln ist nur Handeln in Hinblick auf Markterfolg.” (S. 76)

  • Unternehmertum und Markt bedingen einander. Wer sich mehr unternehmerisches Handeln wĂŒnscht, wĂŒnscht sich gleichzeitig mehr Lebensbereiche, die durch eine Marktlogik reguliert sind.
  • Wer A sagt, muss auch B sagen.

Der Neoliberalismus hat kein einheitliches politisches Konzept, ist kein kohĂ€rentes IdeengebĂ€ude: „Die ökonomischen Theorien, die unter dem selbst gewĂ€hlten oder von außen zugeschriebenen Label „Neoliberalismus” firmieren, sind alles andere als homogen.” (S. 104) Aber folgende sind wichtige Eckpunkte: (vgl. S. 78f; S. 106)

  • Generalverdacht: Es wird zu viel regiert.
  • Der Ort, wo sich die Wahrheit ĂŒber die Natur des Regierens zeigt, ist der Markt.
  • Es ist immer das Individuum, das sich entscheidet. Das Individuum entscheidet so, dass es fĂŒr sich den Nutzen maximiert.
  • Versprechen des Liberalismus (nach Foucault): „Ich werde dir die Möglichkeiten zur Freiheit bereitstellen. Ich werde es so einrichten, dass du frei bist, frei zu sein.“
  • „Regieren unter dieser Maxime erfordert konsequenten Verzicht auf jede Maßnahme, die der unsichtbaren Hand des Marktes Fesseln anlegen könnte. Deshalb stehen alle politischen Interventionen zunĂ€chst unter Generalverdacht.“
  • Wehrt sich gegen jede Form der Umverteilung, z.B. Wohlfahrtsstaat, weil sie mit den marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht vereinbar sind (Ausnahme: Subvention von jenen, die kurzfristig oder langfristig ihre Existenz nicht sichern können und damit als Marktteilnehmer ausscheiden wĂŒrden). (vgl. S. 84)
  • Wichtig: Die Ordoliberalen (!, die deutsche Schule des klassischen Liberalismus) sehen den Wettbewerb als bestes Ordnungsprinzip fĂŒr die Ökonomie – aber nur fĂŒr die Ökonomie! Sie wollen den Wettbewerb nicht als Prinzip, mit der man die Gesellschaft als Ganzes aufbauen könnte. Es braucht außerhalb der Ökonomie einen „krĂ€ftigen politisch-moralischen Rahmen”. (S. 85f)
    • Damit unterscheiden sie sich von der Chicago School of Economics, die den Wettbewerb als „allgemeines Beschreibungsmodell menschlichen Handelns” auffassen. 

Ökonomischer Imperialismus = „Ausweitung ökonomischer ErklĂ€rungen auch auf Lebensbereiche, die traditionell nicht der SphĂ€re der Ökonomie zugerechnet werden” (S. 86f)

  • Wie das u.a. gelingt: Indem der Einzelne als Akteur begriffen wird, der mit seinen Entscheidungen den Markt beeinflusst.
  • „Was auch immer jemand tut, er könnte es auch unterlassen oder in derselben Zeit etwas anderes tun. Deshalb ist es sinnvoll davon auszugehen, dass er jene Option ergreifen wird, von der er annimmt, dass sie seinen PrĂ€ferenzen am ehesten entspricht. Der Mensch der Humankapitaltheorie ist vor allem ein Mensch, der sich unentwegt unterscheidet.” (S. 88)
  • Dieser OpportunitĂ€tskosten-Ansatz lĂ€sst sich (mit ein bisschen gutem Willen) natĂŒrlich auf sĂ€mtliche Lebensbereiche ĂŒbertragen. Vgl. Personal Project Management 

Liberalismus = „Verschiebung weg vom Paradigma des Tausches hin zu dem des Wettbewerbs”

  • Tauschökonomie wird zur Wettbewerbsgesellschaft
  • Gabenökonomie -> Tauschökonomie -> Wettbewerbsökonomie -> Netzwerkökonomie -> Zugangsökonomie

Menschen sind im Liberalismus von Becker und Schultz „Kompetenzmaschinen” (Foucault):

  • Bildung als Humankapitalinvestition: „[…] diese Maschinen wollen umsichtig entwickelt, sorgfĂ€ltig gewartet und kontinuierlich auf die Marktanforderungen hin adjustiert werden. Damit kann gar nicht frĂŒh genug begonnen werden, und es erfordert, noch bevor der Einzelne den Auf- und permanenten Ausbau seiner Kompetenzen in die eigene Hand nehmen kann, das Engagement seiner Eltern sowie anderer gesellschaftlicher Institutionen.” (S. 92)
  • „Vom Versprechen, die Investition in das Humankapital eines SĂ€uglings lasse sich noch optimieren, indem man ihm „aktivierendes” Spielmaterial zur VerfĂŒgung stellt, lebt mit neurowissenschaftlicher RĂŒckendeckung eine ganze Industrie.” (S. 92)
  • Majia Holmer Nadesan: Engeneering the entrepreneurial infant (2003)
  • Vgl. Englisch im Kindergarten; Talente so frĂŒh wie möglich erkennen

Es herrscht das Universalprinzip „Selbst schuld!” (S. 93)

  • „Wer krank wird, hat sich nicht genug um seine Gesundheit gesorgt [oder hat zu viel „negative Energie” in sein Leben gelassen, Anm.]; wer Opfer eines Unfalls oder eines Verbrechens wird, hĂ€tte sich mehr um seine Sicherheit kĂŒmmern sollen.“
  • Vgl. Life Management, wo diese Denkweise auch manifestiert war/ist: Beispiel Rauchen: Der Raucher wĂ€hlt das Rauchen, weil er daraus (kurzfristig) hohen Nutzen zieht und entscheidet sich dagegen, etwas gegen den langfristigen gesundheitlichen Schaden zu unternehmen. Alles, was der Mensch tut, ist eine Entscheidung mit OpportunitĂ€tskosten. 

Auch Wissen ist eine Investition (S. 95)

  • „Welche Ressourcenallokation den maximalen Return On Investment erbringt, erweist sich erst im Nachhinein, doch gerade weil vollstĂ€ndige Information nicht erreichbar und er Markterfolg letztlich kontingent ist, kann der relative Informationsvorsprung den Ausschlag geben. Auch der Wille zum Wissen ist in dieser Perspektive eine ökonomische Funktion [
].“
  • [Der Erwerb von Wissen stellt] eine Investition ins eigene Humankapital dar [
]. Ein homo oeconomicus zu werden, ist auch ein Bildungsprogramm.“

Was Friedrich August von Hayek (laut UB) sagt:

  • „Kurzum, der Markt ist klĂŒger als seine Teilnehmer, weshalb diese gut daran tun, seinen Signalen zu folgen.” (S. 99)
    • vgl. Seth Godin: Der Markt ist ein „listening device“.
  • „Deutlicher als die meisten seiner WeggefĂ€hrten spricht er aus, dass der Wettbewerb nicht nur Sieger hervorbringt und der Erfolg mindestens ebenso sehr vom GlĂŒck abhĂ€ngt wie vom individuellen BemĂŒhen.” (S. 102) 
  • „Eine Wettbewerbsgesellschaft ist keine Leistungsgesellschaft, und sie stiftet erst recht keine soziale Gerechtigkeit.” (S. 102)
  • „Es ist die Hauptaufgabe des Wettbewerbs, zu zeigen, welche PlĂ€ne falsch sind.” (S. 103)

Welche Verhaltensregeln fĂŒr die individuelle LebensfĂŒhrung ergeben sich daraus?

  • „Weil GlĂŒck und Geschick unauflöslich miteinander verwoben sind, kann er nie sicher sein, ob sein Erfolg dem puren Zufall uns sein Misserfolg mangelnder Anstrengung geschuldet ist, und muss in jedem Fall weiterhin all seine KrĂ€fte einsetzen, ohne je wissen zu können, ob die MĂŒhe sich lohnen wird. Das GlĂŒck winkt nur dem TĂŒchtigen, aber noch so viel TĂŒchtigkeit schĂŒtzt nicht unbedingt vor dem UnglĂŒck.” (S. 103)
    • Daran zerbrechen Unternehmer*innen auch schon mal. 

3.2 Unternehmerfunktionen

„Unternehmerisches Handeln, so weit besteht Konsens, ist ökonomisches Handeln, aber nicht jede ökonomische AktivitĂ€t ist unternehmerisch.” (S. 108)

  • vgl. Unternehmer vs. Manager: Ein Manager handelt auch wirtschaftlich (= ökonomisch), aber er macht oft das Gegenteil dessen, was man „unternehmerisches Handeln” nennen wĂŒrde. 
  • Ich wĂŒrde das sogar einschrĂ€nken und sagen: Ein Unternehmer handelt mitunter auch nicht ökonomisch (im Sinne von wirtschaftlich). Unternehmerisches Handeln muss nicht immer rein ökonomisch sein – vor allem nicht bei Lifestyle Entrepreneuren.

Die Nationalökonomen (Schumpeter und Co) unterstellen „dem Unternehmer” vier Grundfunktionen unternehmerischen Handelns (vgl. S. 110):

  1. Unternehmer sind findige Nutzer von Gewinnchancen
  2. Unternehmer sind Neuerer
  3. Unternehmer ĂŒbernehmen die Unsicherheiten des ökonomischen Prozesses 
  4. Unternehmer koordinieren die AblÀufe von Produktion und Vermarktung

Diese Funktionen sind keineswegs trennscharf voneinander abzugrenzen.
Der Unternehmer als findiger Nutzer von Gewinnchancen

  • „Findigkeit” (alertness) ist nach Israel M. Kirzner die entscheidende Eigenschaft des Unternehmers (S. 114)
  • UB zitiert Kirzner: „Unternehmertum besteht nicht darin, nach einem freien Zehndollarschein zu greifen, den man bereits irgendwo entdeckt hat. Es besteht vielmehr darin, zu entdecken, dass es ihn gibt und dass er greifbar ist.“
  • „Findigkeit lĂ€sst sich verstehen als die FĂ€higkeit, schneller als andere und vor allem „ohne gezieltes Vorgehen zu lernen” [Kirzner].” (S. 114)
  • „Findigkeit braucht Stimulation [vonseiten der Politik, mithilfe von MĂ€rkten, die Findigkeit auch belohnen]. Auch das ist ein unabschließbares Projekt.” (S. 115)

Der Unternehmer als Innovator (Schumpeter)

  • Schumpeter sieht im Unternehmer „weniger den findigen Spekulanten als den schöpferischen Zerstörer und Innovator”. (S. 115)
  • „Was den Entrepreneur von den ĂŒbrigen Menschen unterscheidet, sind erst in zweiter Linie sein Wissen und seine Auffassungsgabe; in erster Linie ist es seine WillensstĂ€rke.” (S. 116)
    • Der Entrepreneur ist in erster Linie ein Macher, ein FĂŒhrer; hat Willen, hat Kraft, hat Macht; hat AutoritĂ€t, hat Gewicht, findet Gehorsam.
  • „Angetrieben wird der Entrepreneur nicht von hedonistischen Motiven: der unternehmerische Drang zu handeln speist sich vielmehr aus dem Streben nach UnabhĂ€ngigkeit, der Lust am KĂ€mpfen und Siegen, am Erfolg als solchem, schließlich an der Freude am Tun wie am Schaffen eines Werkes.” (S. 116)
    • 
 und beschreibt damit ein endliches Spiel.
  • „In den konkreten Personen mögen sich beide Momente in unterschiedlichen Kombinationen verbinden, bezogen auf die Funktion im ökonomischen Prozess gibt es nur Neuerer oder Nachahmer. Schöpferische Gestaltung oder Routine, einen Weg bauen oder einen Weg gehen – tertium non datur.” (S. 117)
  • „Die wirtschaftliche Entwicklung wird allein von den Entrepreneuren vorangebracht, die anderen verwalten BestĂ€nde.” (S. 117)

Der Unternehmer als TrÀger von Risiken

  • „[Frank H.] Knights Unternehmer „ist einfach ein Spezialist fĂŒr de Übernahme von Risiken und das Handeln unter Ungewissheit”.” (S. 118)
  • Im Unternehmer vereinigen sich Verantwortung und Kontrolle des fĂŒr ihn arbeitenden Personals: „In dieser Kopplung liegt fĂŒr Knight der Kern des Unternehmertums, weshalb er dem bezahlten Manager, der lenkt, aber nicht die wirtschaftlichen Konsequenzen seiner Entscheidungen zu tragen hat, den Unternehmerstatus abspricht, sofern er nicht auch zumindest partieller Kapitalgeber ist.” (S. 118)
    • vgl. Ernesto Sirolli: Entrepreneur vs. Manager
    • „Unternehmer sind Agenten des Wandels, Manager der StabilitĂ€t.” (Peter Temin) (S. 123)

Der Unternehmer als Koordinator

  • Marc Casson: „Ein Unternehmer ist derjenige, der sich darauf spezialisiert hat, Entscheidungen ĂŒber die Koordination knapper Ressourcen zu treffen.” (S. 120)
  • „Er glaubt, dass er recht hat, wĂ€hrend alle anderen sich irren.” (S. 121)
  • „Den Informationsvorsprung zu gewinnen und zu erhalten, verursacht Kosten, fĂŒr deren Deckung der Unternehmer Kapital braucht. Sein Zugang zu Informationen hĂ€ngt nicht zuletzt von einem sozialen Umfeld ab, das ihn – etwa durch familiĂ€re Beziehungen oder Mitgliedschaften in Clubs und Vereinigungen – in Kontakt zu InformationstrĂ€gern bringt.” (S, 122)

Diese Unternehmerfunktionen stellen nicht nur eine Deskription dar, sondern bilden zugleich „ein normatives Modell individueller LebensfĂŒhrung.” (S. 123)

  • Entrepreneurship ist „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten UnproduktivitĂ€t”. (Jan Masschelein, Maarten Simons) (S. 123)
  • „Selbstverschuldet ist dies UnproduktivitĂ€t, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel an Humankapital, sondern am Mangel an Entschlossenheit und Mut liegt, sich seines Humankapitals ohne Leitung eines anderen zu bedienen.” (Jan Masschelein, Maarten Simons) (S. 123)

„Entrepreneurship findet ihr Vorbild weit eher im Genius des KĂŒnstlers, im strategischen Geschick un der Entschlusskraft des Feldherrn oder im Rekordstreben des Sportlers.” (S. 124)

„Unternehmerische Initiative gilt inzwischen als Universaltherapie fĂŒr alles und jeden, ihr Fehlen als Ursache sĂ€mtlicher Probleme.” (S. 124)

„Die Entwicklung von Entrepreneurship steht unter dem Diktat des Komparativs: Unternehmerisch handelt man nur, sofern und solange man innovativer, findiger, wagemutiger, selbstverantwortlicher und fĂŒhrungsbewusster ist als die anderen. […] Jeder soll Entrepreneur werden, aber wĂ€ren es tatsĂ€chlich alle, wĂ€re es keiner. Jeder könnte, aber nicht alle können.” (S. 126)

„Diesem Wettkampf kann sich niemand entziehen, aber nicht alle spielen in der gleichen Liga.” (S. 126)

  • Ja, definitiv. Sieht man ja auch im UGP. Da spielen auch nicht alle in der gleichen Liga. Wer hat, dem wird gegeben. Wir werden immer Arme unter den GrĂŒnder*innen haben. 

3.3 Vertragswelten

Unser Alltagsleben ist sehr stark durch VertrĂ€ge geregelt, ganz besonders durch die impliziten VertrĂ€ge – „GesellschaftsvertrĂ€ge” im weitesten Sinn.

  • Ein Beispiel: „PĂ€dagogische Bestseller empfehlen gestressten Eltern bereits seit den 70er-Jahren, im Streit mit ihrem Nachwuchs nicht auf ihre AutoritĂ€t zu pochen, sondern eine „Familienkonferenz” einzuberufen und gemeinsam fĂŒr alle akzeptable Regeln des Zusammenlebens zu vereinbaren. KontraktpĂ€dagogik tritt an die Stelle disziplinierender Sanktionen.” (S. 130)
  • Wir hinterfragen gar nicht mehr, ob das die beste Herangehensweise ist. Sie ist so intuitiv „vernĂŒnftig”, dass sie zur SelbstverstĂ€ndlichkeit geworden ist.
  • Damit ist kein Werturteil getroffen. „KontraktpĂ€dagogik” kann eine gute Idee sein oder auch nicht. Der Punkt ist: Sie ist oft unhinterfragt und unwidersprochen.

Implizite VertrĂ€ge gibt es auch in AngestelltenverhĂ€ltnissen (neben dem expliziten Arbeitsvertrag): „Leistungsanforderungen lassen sich leichter durchsetzen, so das Credo eines Management by Objectives, wenn die GeschĂ€ftsfĂŒhrung sie nicht dekretiert, sondern mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aushandelt. Zielvereinbarungen verpflichten nachhaltiger als ein Regime des Anordnens und Kontrollierens.” (S. 130f)

„Trotz der allseits beschworenen neuen Kontraktkultur ist die Vertragsbeziehung zwischen Dienstleisterstaat und BĂŒrgerkunden indes alles andere als symmetrisch: Die eine Seite bestimmt, wann ein Vertrag geschlossen wird, und legt die Konditionen fest, die andere hat sich daran zu halten.” (S. 131)

  • vgl. UGP: Der Vertrag ist nicht verhandelbar. Details lassen sich ev. individuell leben, aber der Vertrag ist fĂŒr alle GrĂŒnder*innen der gleiche. Nimm ihn, oder nimm ihn nicht – egal, ob er zu dir passt oder nicht.

4. Strategien und Programme

4.1 KreativitÀt

„Der Begriff KreativitĂ€t weckt uneingeschrĂ€nkt positive Assoziationen; umgekehrt gibt es kaum ein Übel, das nicht auf KreativitĂ€tsdefizite zurĂŒckzufĂŒhren und nicht durch vermehrte kreative Anstrengungen zu kurieren sein soll. Was auch immer das Problem ist, KreativitĂ€t verspricht die Lösung.” (S. 152)

  • Das sagt man auch Solopreneuren: Ihr mĂŒsst eben kreativ sein!

„Wie jede Religion besteht auch die der KreativitĂ€t nicht nur aus GlaubensĂŒberzeugungen, sondern auch aus sozialen Praktiken sowie aus Experten, die sie verkĂŒnden und die Laien entsprechend anleiten.” (S. 153)

„Menschen können nicht aus nichts etwas schaffen, ihre Schöpfungen sind stets Derivate – Umschöpfungen von bereits Vorhandenem. Weil sie sich die Welt aber handelnd und deutend aneignen, gehen ihre Hervorbringungen stets ĂŒber das Vorgefundene hinaus. Menschen können und mĂŒssen Neues zustande bringen, doch ihre Inventionen und Innovationen sind niemals absolut. Der Versuch, kreative Personen, Akte oder Produkte dingfest zu machen, mĂŒndet deshalb in einem unendlichen Regress: In allem Neuen steckt etwas Altes, auf dem es aufbaut, das es modifiziert oder von dem es sich absetzt. Umbekehrt steckt in jeder Wiederholung ein Moment der schöpferischen Variation. Dass etwas kreativ ist, lĂ€sst sich daher mit gleichem Recht behaupten wie bestreiten.” (S. 155)

„Weil das Neue eine relationale Kategorie ist, bedeutet kreativ zu sein, Distinktionen zu schaffen. […] Die Möglichkeiten, Neues zu schaffen, sind unbegrenzt, entscheidend ist das Moment der Differenz.” (S. 157)

„Als Leitmetapher des zeitgenössischen KreativitĂ€tsdiskurses fungiert zweifellos das problemlösende Denken. […] Das Problem, das es zu lösen gilt, ist freilich immer das gleiche: Erfolgreich und innovativ zu sein, sich im Wettbewerb zu behaupten, Kunden zu finden fĂŒr sich und die eigenen Produkte.” (S. 159)

„Czikszentmihalyi macht auch auf die soziale Dimension von KreativitĂ€t aufmerksam. Der „schöpferische Augenblick” mag dem Einzelnen gehören und ihn im sprichwörtlichen stillen KĂ€mmerlein ereilen, doch kreativ ist man nie allein. Der Kreative steht in der Auseinandersetzung mit anderen, die seinen Erfindungen, Artefakten oder Sinndeutungen bzw. ihm selbst dieses Attribut zusprechen oder verweigern, auf deren Anerkennung er hofft oder deren Missachtung er fĂŒrchtet, mit denen er gemeinsam Ideen schmiedet oder die er meidet, um auf Ideen zu kommen, die ihm Probleme aufgeben oder deren Lösungen ihn nicht befriedigen, in deren Fußstapfen er tritt oder aus deren Fußstapfen er gerade heraustritt.” (S. 168)

„Einfach nur andere Wege zu gehen als die Masse, nĂŒtzt gar nichts, solange sich niemand dafĂŒr interessiert. Kreativ ist das Neue, das sich durchsetzt.” (S. 169)

  • „Welche Kreationen Rendite abwerfen, entscheidet sich auf dem Markt. Der Rest verpufft.” (S. 169)
  • „Jeder hat nicht einfach nur kreativ zu sein, sondern kreativer als die anderen.” (S. 170)

Richard Florida: The Rise Of The Creative Class (2002)

  • KreativitĂ€t ist die ultimative ökonomische Ressource (S. 172)
  • Zitat aus dem Buch: „Die kreative Klasse besteht aus Menschen, die durch ihre KreativitĂ€t ökonomischen Wert schaffen. Sie schließt viele Wissensarbeiter, Symbolanalytiker und qualifizierte technische Angestellte ein, der Begriff betont aber ihre im Kern ökonomische Bedeutung. […] Die meisten Angehörigen der kreativen Klasse verfĂŒgen nicht ĂŒber nennenswertes materielles Eigentum. Ihr Eigentum – das aus ihren kreativen FĂ€higkeiten erwĂ€chst – ist immateriell, weil sie es im Wortsinn in ihren Köpfen tragen. [
] Die Angehörigen der kreativen Klasse betrachten sich bis jetzt nicht als eine klar identifizierbare soziale Gruppe; aber sie teilen viele WĂŒnsche und Vorlieben. Die neue Klasse mag in dieser Hinsicht nicht so eindeutig abgrenzbar sein wie die industrielle Arbeiterklasse in ihrer Hochzeit, aber sie zeigt eine zunehmende KohĂ€renz.” (S. 173)
  • Da gibt es SO VIELE AnknĂŒpfungspunkte: Lifestyle Entrepreneure, Wassermann-Wirtschaft, Gabenökonomie, Seth Godin: The Icarus Deception; Zugangsökonomie usw. 
  • Da entwickelt ein Wissenschaftler eine fĂŒr mich sehr nĂŒtzliche Theorie!
  • Floridas Anliegen: Standortförderung. Gegenden mit vielen Kreativen sind wettbewerbsfĂ€hig und prosperieren wirtschaftlich.
  • „Kreative sind Individualisten, und Bowling ist nicht unbedingt ihre bevorzugte FreizeitbeschĂ€ftigung. Nicht die RĂŒckkehr zu festen, sondern die Multiplikation loser Bindungen kennzeichnet diese Klasse [
].” (S. 173)

„[…] aus dem permanenten GefĂŒhl des Unvermögens resultieren denn auch sowohl der nicht nachlassende Hunger nach KreativitĂ€tstechniken wie der fortwĂ€hrende Boom entsprechender Angebote.” (S. 179)

  • In der Leistungsgesellschaft des unternehmerischen Selbst wird immer ein „Markt” sein fĂŒr KreativitĂ€tsangebote, weil es nie genug ist.

4.2 Empowerment

Saul D. Alinsky: „Tatsache ist doch, dass jede Gemeinschaft ganz gleich wie arm sie ist, Probleme hat, aber sie hat keine Ziele, sie kennt nur schlechte VerhĂ€ltnisse.” (S. 187)

  • Diesen Menschen muss zuerst einmal aufgezeigt werden, was Anderes noch möglich wĂ€re. Erst aus dieser Vision können sich Ziele entwickeln, fĂŒr die es sich zu kĂ€mpfen lohnt.

Paolo Freire: Bankiers-Methode herkömmlicher Bildungsprogramme (S. 190)

  • Buch: Paolo Freire: PĂ€dagogik der UnterdrĂŒckten. Bildung als Praxis der Freiheit
  • SchĂŒler sind Anlage-Objekte, Lehrer sind die Anleger.
  • Paolo Freire: „Statt zu kommunizieren, gibt der Lehrer KommuniquĂ©s heraus, macht er Einlagen, die die SchĂŒler geduldig entgegennehmen, auswendig lernen und wiederholen. […] Je mehr die SchĂŒler damit beschĂ€ftigt sind, die Einlagen zu stapeln, die ihnen anvertraut sind, um so weniger entwickeln sie jenes kritische Bewusstsein, das entstehen wĂŒrde, wenn sie in der Welt als Verwalter dieser Welt eingreifen wĂŒrden. Je vollstĂ€ndiger sie ihre passive Rolle akzeptieren, die ihnen aufgenötigt wird, desto stĂ€rker neigen sie dazu, sich der Welt einfach so, wie sie ist, und der bruchstĂŒckhaften Schau der Wirklichkeit, die ihnen eingelagert wurde, anzupassen.“
  • Mich erinnert das an die GrĂŒnder/EPU: Sie sind damit beschĂ€ftigt, das abzuarbeiten, was ihnen von Außen als Aufgaben aufgebĂŒrdet wird – und bleiben damit weitgehend in einer passiven Rolle.
    • Make GrĂŒndungsberatung suck less! -> Das mĂŒsste man begreifen!

„ „Empowered” ist man nie genug.” (S. 195)

  • Auch Empowerment ist ein unabschließbares Projekt.
  • Auch der Versuch, EPU zu empowern, kann kein Ende finden. Wann ist dieses Ziel erreicht? Ist hier ĂŒberhaupt noch etwas zu erreichen, oder sind EPU ohnehin empowered genug? Wer entscheidet das? usw.

„Persönliches Wachstum und das der Firma, der Kampf um individuelle Autonomie und der gegen die Pleite sollen zusammenfallen, und der Einzelne soll von den an ihn gestellten Anforderungen sebst dann noch profitieren können, wenn das Unternehmen ihn ausmustert.” (S. 211)

„Die Freiheit vom Disziplinarzwang wird erkauft mit der Pflicht zur permanenten Optimierung und Selbstoptimierung.” (S. 212)

4.3 QualitÀt

„Verliehen wird das QualitĂ€tssiegel auf dem Markt. Selbst die seltenste Preziose ist wertlos, solange niemand den geforderten Preis fĂŒr sie zu zahlen bereit ist. Umgekehrt besitzt auch ein Ramschprodukt QualitĂ€t, wenn nur das Preis-Leistungs-VerhĂ€ltnis stimmt und sich Abnehmer finden. Weil Marktorientierung in diesem Sinne konsequente QualitĂ€tsorientierung verlangt (und umgekehrt), wird unternehmerisches Handeln gleichbedeutend mit QualitĂ€tsmanagement.” (S. 216)

Total Quality Management dient in erster Linie dazu, „die Mitarbeiter aller Ebenen auf unternehmerisches Handeln zu verpflichten. Unternehmen steigern ihre QualitĂ€t und damit ihre Wirtschaftlichkeit, lautet die Botschaft des TQM, wenn sie sich in eine Vielzahl von „Unternehmen im Unternehmen” verwandeln. Aus LohnempfĂ€ngern sollen Intrapreneure werden, die Verantwortung ĂŒbernehmen, Engagement zeigen und ihre Arbeitsbereiche entsprechend der internen wie externen KundenbedĂŒrfnisse selbstĂ€ndig optimieren.” (S. 221)

„Benchmarking beruht auf der Imitation erfolgreicher Verhaltensmuster. Individuen wie Organisationen sollen, so das Prinzip, den Erfolgreichsten die Rezepte abschauen, denen diese ihren Erfolg verdanken. Doch wenn alle den gleichen Rezepten folgen, verschwindet der Abstand und damit der Erfolg. Das Paradox des Benchmarking liegt darin, dass seine Wirkung in dem Maße abnimmt, in dem die Zahl der Nutzer des Konzepts steigt. Die Nachahmer lernen immer das Falsche, weil das optimale Verfahren von heute schon morgen zur Standardlösung geworden ist und eben keinen Wettbewerbsvorteil mehr garantiert.” (S. 232)

„Er unermĂŒdliche Wille zum Wissen schlĂ€gt bisweilen seltsame Kapriolen [
].” (S. 234)

„Man tut, was gemessen, und unterlĂ€sst, was vom Bewertungsraster nicht erfasst wird. Die Feedbacks schaffen so erst die Wirklichkeit, die sie zu bewerten vorgeben [
].” (S. 241)

4.4 Projekte

„Wenn auch fast alles zum Projekt werden kann, so doch nicht alles zugleich. Die Festlegung auf ein Projekt schließt viele andere aus, und wo verschiedene Projekte parallel laufen, mĂŒssen sie als voneinander unterschiedene kenntlich bleiben. Projekte zeichnen sich geradezu ĂŒber ihre Begrenzungen aus [
].” (S. 251)

„Der Name, den man einer Sache gibt, lĂ€sst diese nicht unberĂŒhrt. Etwas als Projekt zu deklarieren heißt, ihm den Charakter eines Entwurfs oder Vorhabens zuzusprechen und in der Folge so auf es einzuwirken, dass es den Kriterien der Projektförmigkeit entspricht.” (S. 251)

„ „Projekt” ist eine spezifische Form, die Wirklichkeit zu organisieren – ein RationalitĂ€tsschema, ein BĂŒndel von Technologien, schließlich ein Modus des VerhĂ€ltnisses zu sich selbst.” (S. 251)

„Nichts ist per se ein Projekt, aber es gibt kaum etwas, das nicht in diese Form gebracht werden könnte.” (S. 251)

„Alle Menschen sind Projectmacher”, sagte Johann Heinrich Gottlob von Justi schon 1761 in seinem Aufsatz „Gedanken von Projecten und Projectmachern. (S. 253f)

  • „Menschen mĂŒssen, so der Ausgangspunkt seiner Überlegungen, sich um ihr Wohlergehen selbst kĂŒmmern und deshalb PlĂ€ne schmieden, sich Ziele setzen und Strategien entwickeln, wie sie diese erreichen können – mit anderen Worten: Sie mĂŒssen ihre eigenes Leben als Projekt fĂŒhren. Justi entwirft nicht weniger als die Gestalt des Lebensunternehmers [
].” (S. 254)
  • vgl. „Projekt: Leben“

„Richtig voran geht nur dann etwas, wenn jemand sich richtig drum kĂŒmmert und andere anstiftet mitzumachen.” (Bröckling zitiert „zwei Mitglieder einer Landkommune”, S. 258)

  • Es braucht in jedem Projekt einen „KĂŒmmerer”.
  • Der KĂŒmmerer muss sich richtig drum kĂŒmmern – also sowohl richtig im Sinn von geeigneten Mitteln, als auch richtig im Sinn von mit vollem Einsatz.
  • Der KĂŒmmerer macht das Projekt aber nicht fĂŒr sich allein, sondern reißt andere mit. Es ist die wesentliche Aufgabe des KĂŒmmerers, andere ins Boot zu holen.
  • Man könnte natĂŒrlich sagen, in den modernen Projekten ist der Projektleiter dieser KĂŒmmerer. Aber so leicht ist es nicht. Weil dem Projektleiter das Projekt oft gar nicht so am Herzen liegt. Mitunter gibt es in Projekten KĂŒmmerer, die gar nicht die formalen Projektleiter sind.

Projekt Ich

„Und wenn als ausgemacht gilt, dass Projektorganisation der Königsweg zu mehr FlexibilitĂ€t und Selbstverantwortung ist, dann liegt es nahe, auch die Verwaltung des eigenen Lebens auf Projektmanagement umzustellen.“ (S. 279)

  • vgl. Personal Project Management 

„Da dieses Projekt Ich sich selbst wiederum aus vielfĂ€ltigen Arbeits-, Beziehungs-, Freizeit-, Gesundheitsprojekten usw. zusammensetzt, avanciert seine SelbstfĂŒhrung zum Management des individuellen „Projektportfolios“.“ (S. 279)

  • Genau das ist Personal Project Management!
  • Ich frage mich: In wie fern hat Bröckling daran etwas auszusetzen? Beschreibt er nur, oder wertet er auch mit dem sarkastischen Unterton, der das ganze Buch durchzieht?

„Hilfreich ist in jedem Fall, so ein Leitfaden fĂŒr Ich-AGs, „die Orientierung an klassischen Methoden des Projektmanagements, wie sie in der Wirtschaft alltĂ€glich eingesetzt werden“. Auch das eigene Leben lĂ€sst sich als Problemlösungszyklus mit festgelegten Schritten begreifen.“ (S. 280)

„Checklisten, Selbstverpflichtungen und persönliche „Jahres-Klausuren“ sollen dem Einzelnen helfen, den Überblick ĂŒber die Vielzahl individueller Projekte zu behalten.“ (S. 280)

„Die Form „Projekt“ ist ein historisches Apriori unseres SelbstverstĂ€ndnisses, eine Folie, auf der wir uns – im Guten wie im Schlechten – selbst begreifen und modellieren.“ (S. 282)

„Das definitive Projektende kommt irgendwann fĂŒr alle, das „Projekt ‚Leben'“, das Tom Peters so pathetisch beschwört, endet in jedem Fall letal. Vorher kann es ein endgĂŒltiges Misslingen so wenig geben wie einen endgĂŒltigen Triumph. Auf jeden Erfolg wie auf jedes Scheitern folgt nur das nĂ€chste Projekt. So ungleich die Chancen dabei verteilt sind, die Maximen sind fĂŒr alle gleich: Sei aktiv! Nimm dein Leben in die Hand! Sei dein eigener Chairman!““ (S. 282)

5. Schluss: Fluchtlinien oder die Kunst, anders anders zu sein

„Ein vom unternehmerischen Subjektivierungsregime unberĂŒhrtes Außen oder einen ihm entzogenen Innenraum des Selbst gibt es nicht oder wenn, dann nur als Zone kĂŒnftiger Eroberungen, wo ungenutzte Ressourcen ihrer Erschließung harren.“ (S. 285)
„Anders anders zu sein, schließt Verweigerung ebenso ein wie Verweigerung der Verweigerung. Kritik, so verstanden, ist kein bloßes Spiegelbild ihres Gegenstands. Sie ist kein Gegenprogramm zur unternehmerischen Selbstoptimierung, sondern die kontinuierliche Anstrengung, sich dem Zugriff gleich welcher Programme wenigstens zeitweise zu entziehen. Nicht Gegenkraft, sondern ein Außerkraftsetzen; Unterbrechung statt Umpolen des Energieflusses […].“ (S. 286)

  • z.B. Lifestyle Entrepreneur sein UND meditieren, um sich immer wieder zu erinnern, dass es ein Konstrukt des Egos/Geistes ist.
  • „Gelingen kann das Außerkraftsetzen des unternehmerischen Kraftfelds stets nur fĂŒr den Moment, aber es sind diese Momente, die schlagartig erkennen lassen, dass der Sog nicht unausweichlich ist.“ (S. 287)

„Weil die unternehmerische Anrufung einer Logik der Entgrenzung folgt, gibt es kein Jenseits der Grenzen, sondern allenfalls RĂ€ume, in denen der Sog stĂ€rker oder schwĂ€cher wirkt, der Imperativ, unternehmerisch zu handeln, mehr oder weniger von anderen Anrufungen ĂŒberlagert wird. […] In welche Richtung und wie stark der Sog zieht, hĂ€ngt nicht zuletzt davon ab, auf welche Hindernisse er stĂ¶ĂŸt.“ (S. 288)

Wodurch wird die Kraft der unternehmerischen Anrufung (beispielhaft) gebremst?

  1. Immanente Überforderung fĂŒhrt zu Depression und Burn-out: „Das unternehmerische Selbst ist ein „erschöpftes Selbst“. Weil die Anforderungen unabschließbar sind, bleibt der Einzelne stets hinter sich zurĂŒck […]. Nicht alle sind in der Lage, diesem Druck standzuhalten, und niemand ist es immer.“ (S. 289)
  2. Ironisierung: „Der Ironiker kennt die Gesetze des Marktes und ihre paradoxen Anforderungen an die Individuen. Er weiß, was ihm zugemutet wird, und er spricht es auch aus. Er treibt die Dinge auf die Spitze, legt ihre AbsurditĂ€ten frei – und zieht so ins LĂ€cherliche, was er nicht Ă€ndern kann.“ (S. 291). Ulrich Bröckling nennt als Beispiel die Dilbert-Comics von Scott Adams.
  3. Passive Resistenz: MĂŒĂŸiggang, Die Entdeckung der Faulheit (Corinne Maier)

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