Konrad Paul Liessmann: Geisterstunde (2014) 📙

K

Meine Notizen

Wissen vs. Kompetenzen (S. 75f)

Niemand, kein Schüler und keine Studentin, ist neugierig darauf, eine Kompetenz zu erwerben. Neugierig ist man darauf, etwas Spannendes zu erfahren – also auf Wissen. Alles Lernen beginnt mit der Neugier. Ohne Neugier gibt es kein Lernen, auch nicht an Schulen und Hochschulen. Und deshalb sollten wir uns beim Lehren auf die Vermittlung von Wissen konzentrieren, nicht auf Kompetenzen.

  • Ich kann das bestätigen: Wenn ich etwas lernen möchte (z.B. indem ich mir einen Podcast anhöre), dann geht es mir immer um das, was in diesem Podcast gesagt wird. Also um das Wissen, das darin vermittelt wird. Und nicht darum, irgendeine „Podcast-Hör-Kompetenz“ zu verbessern.
  • Oder meine : Sie sind voll mit Wissen, und ich habe meine Freude daran. Dieses Wissen hat meine Neugier gekitzelt. Kompetenzen? Unter dem Radar.

Die Renaissance des Lehrers

„Die digitale Welt des Wissens wird, so seltsam das in manchen Ohren klingen mag, zur Renaissance des Lehrers führen.“ (S. 106)

  • Vgl. meine Hypothese, dass es nach der Phase der Massen-Online-Kurse nun zu einer Renaissance der 1:1-Beratung kommen wird.
  • Menschen wollen einander spüren. Menschen wollen einander begegnen. Gerade beim Lernen.

Unsere Kultur ist kollektiv Konsum-orientiert

„Wir sind in erster Linie und vorrangig alle zu Konsumenten geworden. Konsumieren heißt deshalb, dass andere Formen, mit denen Menschen der Welt bisher gegenübergetreten sind — Auseinandersetzung, Aneignung, Suchen, Erkennen, Glauben, Gestalten, Zweifeln und auch Zerstören —, durch eine uniforme Passivität […] ersetzt worden sind. Das macht uns zwar alle zu Mitgliedern einer großen konsumierenden Gemeinde, hält uns aber, tiefenpsychologisch gesprochen, in der infantilen Phase der Oralität gefangen.“ (S. 113)

  • Auch (Fach-)Hochschulen verstehen ihre Studierenden immer mehr als ihre Konsument:innen. Und das Selbstverständnis der Studierenden zu ihrer Hochschule gleicht auch zunehmend einem Kund:innen-Verhältnis (vgl. Evaluierungen). Das ist eine neue Entwicklung, und sie ist nicht gut — nicht für die Hochschulen, und sicher nicht für die Studierenden.
  • „Bildung erscheint längst nicht mehr als Ausdruck einer eigenen und zunehmend selbstverantwortlich organisierten Anstrengung, sondern als das Konsumieren eines Produkts, das von einem Konsortium von Pädagogen und ihren Beratern maßgeschneidert angeboten werden muss.“ (S. 114)

Lehren kann Vieles sein

„Man kann das neue Interesse an der Lehrperson auch dazu nutzen, grundlegend über das Wesen des Lehrens nachzudenken. Dabei zeigt sich, dass Lehren in durchaus unterschiedlicher Weise aufgefasst werden kann, dass es ein Lehren gibt, das wie Sokrates ein Wissen des Nichtwissens provozieren will, ein Lehren, das eher einem klassischen Meister-Schüler-Verhältnis gleicht, ein Lehren, das Expertenwissen vermittelt, ein Lehren, das die Lust auf Neues befördert, ein Lehren, das in einem moralischen Sinn erziehen will, aber auch ein Lehren, das blenden und verführen kann. Möglich, dass es sich dabei um Varianten eines „spirituellen Trainerwesens“ handelt, dem es letztlich um die „Trennung der Geeigneten von den Ungeeigneten“ gehen muss [nach: Peter Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern]. Davon will heute allerdings niemand mehr etwas wissen. Der modischen Reformrhetorik geht es um ein Lehren, das nicht mehr lehren will, um Lehrer, die schlechthin nicht mehr Lehrer sein wollen.“ (S. 126f)

Bildung ist kein attraktiver Aufstiegs-Weg

„Warum Schulen oft an der Aufgabe scheitern, soziale Defizite durch Bildung zu kompensieren, mag weniger mit ihnen selbst als mit einem gesellschaftlichen Klima zu tun haben, in dem Bildung gerade nicht mehr als Motor einer sozialen Mobilität begriffen und erfahren wird. Dass etwa Österreich, ein Land, dessen politische und ökonomische Eliten sich ihrer Antiintellektualität und Geistfeindlichkeit gerne rühmen, erwartet, dass junge Menschen ausgerechnet nach Bildung streben sollen, mutet einigermaßen seltsam an. Der Medienwissenschaftler Peter Weibel machte einmal die zynische Bemerkung, dass aktuell die Casting-Shows die „Universitäten für Aufsteiger“ seien. Dort, nicht in der Lektüre eines Sachbuches oder gar eines Romans, erfahren Jugendliche alles über die Mechanismen des Aufstiegs — wenn, dann lohnt es sich in solche Träume zu investieren. Lesen, Bildung, Wissenschaft werden oft nicht als jene Faktoren wahrgenommen, die zu sozialem und ökonomischem Aufstieg, zu Anerkennung und Erfolg führen. Exzellente Leistungen in diesen Bereichen schützen bekanntlich nicht davor, ins Prekariat abzugleiten. Es genügt nicht, den Wert der Bildung in Sonntagsreden zu beschwören. Wer diesen Wert ernst nimmt, sollte an Rahmenbedingungen arbeiten, innerhalb derer das Streben nach Bildung und Wissen, nach Geist und Kultur, nach Eloquenz und Stil materiell und symbolisch auch tatsächlich honoriert wird.“ (S. 123)

Der hohe Wert des Spielens

„Das Spiel, recht verstanden, wurde deshalb für Schiller zum zentralen Begriff dieser Bildungsidee. In der Anlage des Menschen, die Wirklichkeiten, in denen er lebt, spielerisch zu unterlaufen, im „Spieltrieb“ entfalten sich für Schiller erst die Möglichkeiten des Menschseins. Deshalb kann er diesem Begriff die höchste Bestimmung überhaupt geben: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (S. 174)


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