Felix Klopotek: On Time Run. Immer unterwegs, niemals ankommen, auf dem Weg durch die Zonen der Selbstoptimierung
Selbstoptimierung fuĂt auf einer Ideologie
- âDas heiĂt konkret, dass Selbstoptimierung nicht getrennt zu verstehen ist von einer Ideologie, die stĂ€ndig behauptet, es gĂ€be nichts Wichtigeres, als sich stĂ€ndig zu hinterfragen, zu reflektieren, zu kritisieren, zu ĂŒberprĂŒfen, um alles â die Liebe, die Arbeit, die Freizeit, das Denken â noch viel besser zu bewerkstelligen.â (S. 13)
Selbstoptimierung ist ein Wirtschaftszweig
- âSelbstoptimierung setzt den Konsum eines bunten Angebots von Dienstleistungen voraus, deren hoch spezialisierte Protagonisten uns ĂŒberhaupt erst zur Selbstoptimierung verhelfen. Therapeuten und Coaches, Friseure, Stylisten, Trendsetter in den Medien mit Hipness-Definitionskompetenz, Kneipenwirte, die uns abends die BĂŒhne fĂŒr unsere coolen, virilen, glamourösen Auftritte bereiten, Dozenten, die uns mit Weiterbildungswissen versorgen, Erzieherinnen, denen wir rund um die Uhr unsere Kinder anvertrauen können⊠Es hat sich eine ganze Selbstoptimierungsindustrie etabliert.â (S. 18)
Wir tragen den Markt in die Unternehmen hinein
- âDa werden, wenn Abteilungen Leistungen aus anderen Abteilungen in Anspruch nehmen, Kostenstellen belastet, wird Budgetverantwortlichkeit eingefĂŒhrt, werden Profit Center ins Leben gerufen, Abteilungen oder Arbeitsteams treten miteinander in Konkurrenz, als wĂŒrde sie sich auf einem freien Markt begegnen, und bisweilen werden sogar tiefe rechtliche Einschnitte in die Unternehmensstruktur vorgenommen, etwa wenn bestimmte Bereiche ausgegrĂŒndet und zu selbststĂ€ndigen Subunternehmen deklariert werden.â (S. 21)
Das unternehmerische Selbst
- âDie Elemente der Selbstoptimierung, die wir uns an allen Orten der Gesellschaft aufnötigen lassen, haben wir im unternehmerischen Selbst schon komplett versammelt: Die Aufwertung des Subjekts â von der Arbeiterin oder Angestellten zur Unternehmerin in eigener Sache â, die Zunahme der Kontrollmöglichkeiten, die Individualisierung oder besser: Vereinzelung, die ZentralitĂ€t der Selbst-Techniken wie Eigenverantwortung, Entscheidungsfreude, SpontaneitĂ€t, Streben nach Dominanz, TeamfĂ€higkeit (schein im Gegensatz zur Individualisierung zu stehen, muss sie aber nicht: Teams sind keine Kollektive, keine Gemeinschaften, sondern Verknotungen an sich unabhĂ€ngiger Akteuere), Bejahung der Persönlichkeitssegmentierung.â (S. 21f)
- Ulrich Bröckling: âDas unternehmerische Selbst lebt im Komparativ: Es reicht nicht aus, einfach nur kreativ, findig, risikobereit und entscheidungsfreudig zu sein, man muss kreativer, findiger, risikobereiter und entscheidungsfreudiger sein als die Konkurrenz.â
- vgl. Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst
Ich kommuniziere!
- âIch kommuniziere nicht mehr, um etwas zu erreichen, sondern: Egal, worum es geht, ich habe es gut kommuniziert.â (S. 22)
- vgl. Social Media Marketing
Der Selbstbetrug der Solopreneure / Lifestyle Entrepreneure
- âDer Selbstbetrug besteht darin, […] die Abwesenheit eines Chefs mit der Abwesenheit von Zwang zu verwechseln. Die Hierarchie ergibt sich aus dem Zwang zum Profit: Die Kreative mag sich einbilden, ohne Fremdkapital und also nur aus dem eigenen Humankapital schöpfend zur Unternehmerin (auch: Arbeitskraftunternehmerin) aufzusteigen. Sie muss aber weiterhin zur Akkumulationsrate, dem âGeduldsfaden des Kapitalsâ (Johannes Agnoli), beitragen â ein winziges RĂ€dchen der groĂen Industrie.â (S. 23)
- âDie Kreative, der alles auf die gute Kommunikation ankommt, redet sich nicht nur ihr austauschbares RĂ€dchen-Dasein schön, sie weiĂ noch nicht einmal, an welcher Stelle in der Megamaschine Kapital sie sich dreht.â (S. 23)
- Vgl. Gerald Moser: Robust!: Das System Kleinstunternehmer ist robust, aber der einzelne Kleinstunternehmer ist es lÀngst nicht!
Dieses Buch ist nicht selbstoptimiert
- âZu ihren SachbĂŒchern richten Autoren und Herausgeber heutzutage gerne Blogs, Facebook-Seiten und Twitter-Accounts ein. Das ist hier nicht der Fall, dieses Buch ist nicht selbstoptimiert.â (S. 29)
- Finde ich witzig.
Lars Distelhorst: Die GlĂŒhbirne und der Möbelpacker. Ăber den Begriff âLeistungâ als leere Abstraktion
Zum Begriff der Leistung
- âUnsere Gesellschaft ist besessen von Leistung, und sie scheint umso besessener, je weniger es objektive Bewertungskriterien fĂŒr sie gibt. Die Entscheidung darĂŒber, wer wie viel âgeleistetâ hat und wie das zu be/ent/lohnen ist, ist eine Frage der Macht.â (S. 36)
Der Leistungsbegriff hat zwei Ebenen
- âErstens wird die Frage gestellt, welchem Beruf ein Mensch nachgeht, und anschlieĂend beurteilt, wie viel Engagement er dabei zeigt. So besitzen Professorinnen meistens einen höheren Status als Klempner (Beruf), wobei diese Sicht ins Schwanken geraten kann, sollten Erstere nur Kaffee trinken, wĂ€hrend Letztere sich durch ganze Wohnblöcke arbeiten (Verausgabung).â (S. 39)
- âSich einfach nur anzustrengen reicht demnach nicht, vielmehr muss die MĂŒhe in einen Bereich investiert werden, der gesellschaftlich als wĂŒnschenswert betrachtet wird.â (S. 39)
Selbstoptimierung statt Klassenkampf
- âWie sehr die meisten Menschen diese Logik verinnerlicht haben, zeigt sich am Erfolg der diversen Selbstoptimierungstechniken, die heute im Umlauf sind. Wer einmal geschluckt hat, dass es nur auf ihn ankommt, sieht in der VerĂ€nderung von Strukturen, erst recht ihrer kollektiven VerĂ€nderung auf ein gemeinsames Ziel hin, ein sinnloses Unterfangen und wird dadurch in allen Transformationsbestrebungen auf sich selbst zurĂŒckgeworfen.â (S. 43)
- Das trifft sowas von auf EPU zu.
- Das trifft ordentlich auf mich zu.
Der springende Punkt der Selbstoptimierung
- âDer springende Punkt der Selbstoptimierung besteht, das liegt bereits im Begriff verborgen, darin, den externen Zwang ins Innere des Individuums zu verlegen, was eine Trennung zwischen Fremd- und Selbstbestimmung unmöglich macht. Das Individuum möchte, ja will sich verbessern und sucht sich die fĂŒr es relevanten Bereiche scheinbar selbst aus. Wo frĂŒher die Manipulation von Menschen zum Zweck der Steigerung ihrer ArbeitsproduktivitĂ€t ein von oben nach unten gerichtetes ZwangsverhĂ€ltnis zwischen Unternehmensleitung und Arbeiter war, gegen das nicht selten rebelliert wurde, soll sie heute ein Anliegen der Menschen selbst sein.â (S. 44)
Arbeitszeit vs. Freizeit
- âVon Selbstoptimierung lĂ€sst sich mit Blick auf die Gestaltung der Freizeit, die heute viele Menschen wĂ€hlen, deswegen sprechen, weil diese Freizeit genauso gelebt wird wie die Arbeitszeit und von den gleichen Evaluations-, Bewertungs- und Effizienzsteigerungstechniken durchdrungen ist.â (S. 45)
- âOb Sport, Urlaub, Sex oder Schlafen â alles tun wir, als wĂŒrden wir zur Arbeit gehen.â (S. 45)
- âDie Arbeit wird mit Lust und IndividualitĂ€t aufgeladen und die Freizeit mit Handlungsmustern und Strategien aus der Welt der Arbeit gestaltet.â (S. 45)
Das Versprechen der Leistungs-Ideologie
- âAuf der einfachsten Ebene verspricht es den Menschen fĂŒr die MĂŒhen einen angemessenen Lohn in Form von materiellen VorzĂŒgen und sozialer Anerkennung und stellt dadurch die Motivation und ihr Engagement sicher. Wer sich im Berufsleben anstrengt und auch mal lĂ€nger im BĂŒro bleibt, ohne zu murren, wird befördert, bekommt ein höheres Gehalt und gewinnt dadurch seinen Mitmenschen gegenĂŒber an AttraktivitĂ€t, da ihn die Aura des Erfolges umgibt.â (S. 49)
- âDie emsigen BemĂŒhungen vieler Menschen, durch intensive Arbeit an der eigenen Persönlichkeit besser zu werden als je zuvor, lassen sich als recht hilflosen Versuch lesen, diese alte Version des Leistungsprinzips am Leben zu halten. Wenn Anstrengung im Beruf allein nicht ausreicht, ist es eben notwendig, ein besserer Mensch zu werden und das Selbst als Arbeitskraft auf andere Beine zu stellen.â (S. 49)
Selbstoptimierung wird nie fertig
- âWas ist ein schöner Körper, wie sieht eine gefĂ€llige Persönlichkeit aus, wodurch wird man ein warmherziger Mensch? Da das Ziel hier im Verborgenen liegt, die Norm allenfalls ĂŒber eine diffuse Definition verfĂŒgt, lĂ€uft die Arbeit am eigenen Selbst ins Leere. Gerade dieses konstitutive Scheitern aber ist es, das die Menschen im Spiel hĂ€lt, da es ihnen stets das GefĂŒhl aufbĂŒrdet, nicht genug getan zu haben, sich weiter anstrengen zu mĂŒssen, um endlich zu denjenigen Persönlichkeiten zu werden, die ihnen als Ideal vorschweben â gerade weil sie von diesem Ideal keine klare Vorstellung haben. Wer ĂŒber eine solche verfĂŒgt, weiĂ, wann er fertig ist und kommt mit sich selbst ins Reine â fertig scheint heute nur niemand mehr zu sein.â (S. 50)
Das Leistungsprinzip fĂŒllt eine Leere
- âDas Leistungsprinzip in all seinen Facetten von Karriereplanung bis zu ausgefeilten Techniken der Selbstoptimierung mag zwar vielen Menschen nicht behagen, erlaubt aber, den Blick von der wesentlich unangenehmeren Einsicht in die Tatsache zu verschlieĂen, in einer Gesellschaft ohne Thema zu leben. An dieser Stelle geben sich Apologeten und Kritiker der Leistungszentrierung der Gesellschaft einmĂŒtig die Hand, insofern beide darin ĂŒbereinstimmen, Leistung sei ein sinnstiftendes Moment der Gesellschaft, und so die Einsicht in die Leere des Sozialen umgehen.â (S. 51)
Die mentale Zone
Der Klassenkampf gegen sich selbst
- âFechten wir den âKlassenkampfâ mit uns selbst aus, sind diese Momente des besseren Lebens nicht gegeben. Denn die ZustĂ€nde der Nicht-Konzentration, des Verschiebens und der Zerstreuung erleben wir als entropische, als lauwarmen Zeitbrei, mit dem sich nichts anfangen lĂ€sst, der sich nicht in mehr Energie fĂŒr andere, bessere Sachen verwandeln kann. Das Aufschieben von Verpflichtungen bedeutet eben keinen Zeitgewinn, sondern erweist sich als bitteres Nullsummenspiel […].â (S. 80f)
- Wenn der eigene Mitarbeiter gegen den eigenen Chef in Streik geht, kommt keine Verbesserung raus.
- Arbeitskampf und Arbeitsverweigerung im Lifestyle Business fĂŒhren zuâŠ?
- â Rollenkonflikt Chef – Mitarbeiter
Greta Wagner: Bessere Gehirne? Neuroenhancement in der Neurokultur
Selbstoptimierung, soziologisch erklÀrt
- âSoziologisch erklĂ€ren lĂ€sst sich der ubiqitĂ€re Wille zur Verbesserung des eigenen Selbst mit der Erosion solidarischer Strukturen und damit zusammenhĂ€ngend mit dem, was man neoliberales SelbstverhĂ€ltnis nennen kann. Wir sollen uns auf unsere eigenen Kompetenzen verlassen und nicht auf Institutionen und Gemeinschaften. Der. Aufruf, diese Kompetenzen zu verbessern, […] ist auch Gegenstand von Kampagnen neoliberaler Thinktanks und staatlicher Programme zur Umsetzung eines aktivierenden Sozialstaates. Im Versuch, uns selbst zu verbessern, treffen sich die Ziele der Regierung mit den Praktiken der SelbstfĂŒhrung, die uns zu autonomen und selbstverantwortlichen Subjekten mit Erfolgswillen werden lassen.â (S. 83f)
Motivation durch Neuroenhancer
- âAnders als Ă€hnliche historische Bestrebungen zielen die gegenwĂ€rtigen Versuche der Optimierung des Gehirns nicht vorrangig auf die Steigerung der LeistungsfĂ€higkeit, sondern auf die Hervorbringung von Motivation, weshalb man Medikamente wie Ritalin auch als Leistungssteigerer zweiter Ordnung bezeichnen könnte.â (S. 93)
- âDas Handlungsproblem, das durch Neuroenhancement zu lösen versucht wird, besteht darin, initiativ tĂ€tig zu sein, Dinge in Angriff zu nehmen. Selbst-Aktivierung ist heute eine bedeutende Anforderung an die Subjekte, weil sie im flexiblen Kapitalismus immer wieder eigenverantwortlich nach Gelegenheiten suchen mĂŒssen, ihre FĂ€higkeiten in Wert zu setzen.â (S. 93)
- âPassivitĂ€t und Routinen sind der gröĂte Feind des unternehmerischen Selbst und sollen durch ein âEthos des Beginnensâ ĂŒberwunden werden. Die Medikamente, die als Neuroenhancer eingenommen werden, haben eine aktivierende Wirkung. Sie richten den Fokus auf einen beliebigen Gegenstand und rufen Tatendrang hervor.â (S. 93)
Die Zeit-Zone
Zeitmangel entsteht (nur), wenn andere ĂŒber unsere Zeit verfĂŒgen können
- âFrĂŒher â und tatsĂ€chlich heute immer noch (nur wollen wir es nicht so recht wahrhaben) â waren es immer andere, die ĂŒber Zeit verfĂŒgten, nĂ€mlich ĂŒber meine â deine, seine, ihre, unsere. Daraus speist sich das fundamentale GefĂŒhl der Entfremdung unter HerrschaftsverhĂ€ltnissen, dass etwas, das mit mir so untrennbar verwoben ist â meine sozio-biologische Lebenszeit â in den Dienst von anderen gestellt wird, die damit ihre Zwecke, die radikal von meinen getrennt sind, verfolgen. Erst dadurch entsteht ĂŒberhaupt Zeitmangel, die Angst, sein Leben nicht leben zu können.â (S. 100f)
- Das GefĂŒhl von ZeitmangelâŠ
Guillaume Paoli: Marktkonforme Antikapitalisten
âProjektâ ist neoliberal verseucht
- âEin Projekt, ganz gleich zu welchem Zweck (und was ist heute nicht âProjektâ?) stellt eine âGrammatik der Handlungâ dar, ein normatives Raster. Wer sein Tun in den Kategorien des Projekts begreift, ist bereits neoliberal verseucht.â (S. 155)
- Unter diesem Verdacht steht dann wohl auch die Personal-Projects-TheorieâŠ
Die Bereitschaft zu schenken âsagt mehr ĂŒber ein Individuum aus als dessen Konsumgewohnheitenâ. (S. 158)
- Das ist ein spannender Gedanke. Nur weiĂ ich nicht genau, was er konkret bedeutetâŠ
Es gibt keine engagierten Intellektuellen mehr
- âIm deutschen Kuschelbiotop beschrĂ€nkt sich Antikapitalismus meist auf Diskursprojekte. Die Zeiten des engagierten Intellektuellen, der mit seinem Megafon an sozialen Konflikten persönlich teilnahm, sind lĂ€ngst vorbei. Gesellschaftskritische Theorien werden nur noch im akademischen GewĂ€chshaus gezĂŒchtet.â (S. 164)
Sarah Diehl: Mutterschaft und FĂŒrsorge als Dienst an der Leistungsgesellschaft
Elternschaft als Vollzeitjob
- âDamit sie Teil der weiblichen Erfolgsbiografie werden kann, muss Mutterschaft nun professionalisiert werden: Das heutige Modell von Elternschaft verlangt, den Nachwuchs vom ersten Tag an optimal zu fördern. Wer die FrĂŒhförderung versĂ€umt, so die Botschaft, und nicht begreift, dass Erziehung ein hochkomplexer, störanfĂ€lliger Prozess ist, riskiert irreparable SchĂ€den am Kind. Elternschaft ist zum Vollzeitjob geworden, ânebenbeiâ wird heute kaum noch jemand erwachsen.â (S. 193)
- â[…] wenn ein Elternteil das âProjekt Kindâ ĂŒbernimmt. Ein Kind wird zum Indikator fĂŒr die Leistungsbereitschaft des Einzelnen wie des ganzen Systems.â (S. 193)
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