Lewis Hyde: Die Gabe (1983) 📙

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Meine Notizen

Wichtig vorab: Dieses Buch ist eine großartige Analyse des Spannungsfeldes von Gabenökonomie vs. Marktwirtschaft, von Gaben vs. Waren. Aber es kommt zu keiner Lösung. Der aufgezeigte „dritte Weg“ bleibt eine Skizze.

Marktwirtschaft vs. Gabenökonomie

  • „Die Grundannahme dieses Buches lautet, dass Kunstwerke keine Waren, sondern Gaben sind und daher, um es fĂŒr die modernen VerhĂ€ltnisse zu prĂ€zisieren, gleichzeitig in zwei Welten existieren, in der Marktwirtschaft und in der Gabenökonomie. Wesentlich ist jedoch nur die zweite: Zwar könnte ein Kunstwerk ohne den Markt bestehen, aber ohne Gabe keine Kunst.” (S. 13f)
  • „Ich will damit nicht behaupten, dass man mit Kunst nicht handeln darf. Mir geht es lediglich darum, dass das in einem Werk mitgegebene Geschenk unserem Verhalten ihm gegenĂŒber Grenzen setzt.” (S. 15)
  • Das Grundproblem ist, „dass jeder moderne KĂŒnstler, der sich entschieden hat, seiner Gabe zu dienen, frĂŒher oder spĂ€ter auf die Frage stoßen muss, wie er in einer Marktwirtschaft ĂŒberleben will.” (S. 16)
  • Die Gabenökonomie ist eine „Ökonomie des schöpferischen Geistes”. (S. 20)
  • „Gabentausch ist kein Handel.” (S. 38)

„Inneres Geschenk”

  • Wir sprechen von „Talenten” als „Gaben”. (S. 14)
  • „Zu Recht bezeichnen wir auch die Intuition oder Inspiration als eine Gabe.” (S. 14)
  • Auch eine Idee ist eine Gabe.
  • Geschenke, die (scheinbar) von Innen kommen. Geschenke, die „wir als Gegenstand unserer Arbeit annehmen”. (S. 20)

„Äußeres Geschenk”

  • ein Werk = „Kunst, die uns etwas bedeutet” (S. 14)
  • „Solche Kunst empfinden wir als Geschenk.” (S. 14)
  • „Wenn Kunst uns berĂŒhrt, sind wir dankbar dafĂŒr, dass der KĂŒnstler gelebt und im Dienste seiner Gaben gearbeitet hat.” (S. 15)
  • Geschenk, das von außen kommt, das „als Kulturgut in Erscheinung tritt”. (S. 20)

Was wir bekommen, sollten wir auch weitergeben

  • Haupteigenschaft eines Geschenkes: „Was wir bekommen, sollten wir auch weitergeben und nicht fĂŒr uns behalten. Wenn wir es aber schon behalten, sollten wir etwas Gleichwertiges in Umlauf bringen.” (S. 26)
  • „Das Geschenk muss stets im Umlauf bleiben.” (S. 26)
  • „Im VolksmĂ€rchen erleidet derjenige, der eine Gabe festzuhalten versucht, gewöhnlich den Tod.” (S. 27)
  • Das ist auch das Prinzip von „Sell your wisdom and buy bewilderment“: Da geht es auch um den Fluss, der bestehen bleiben soll. Sell AND buy.

Besitzen bedeutet auch Geben

  • „Vom Besitzer einer Gabe wird selbstverstĂ€ndlich erwartet, dass er sie mit anderen teilt, weitergibt, ihr TreuhĂ€nder und Verwalter ist.” (S. 38)
  • „Eine Gabe wird also erst im Weiterreichen ganz realisiert. Wer keine Dankbarkeit kennt oder sich weigert, MĂŒhe dafĂŒr aufzuwenden, setzt weder seine Gaben frei, noch macht er sie sich wirklich zu eigen.” (S. 79f)

Geschenk gebrauchen ≠ es aufbrauchen

  • „Das Geschenk zu gebrauchen heißt keineswegs, es aufzubrauchen, sondern eher im Gegenteil: Bleibt die Gabe ungenutzt, so geht sie verloren.” (S. 45)

Die Gabe sucht die Leere

  • „Wenn die Ware nach dem Gewinn geht, wonach geht dann die Gabe? Bei ihrem Umlauf wendet sie sich demjenigen zu, der bisher am lĂ€ngsten leer ausging.” (S. 49)
  • Dieser ist „der NĂ€chste” des NT! Der NĂ€chste im Fluss/Kreislauf.

Kunstwerke sind auch Geschenke

  • „Der begabte KĂŒnstler ĂŒbertrĂ€gt die Lebendigkeit seiner Gabe auf das Werk und macht sie auf diese Weise fĂŒr andere verfĂŒgbar.” (S. 51)
  • Ein inneres Geschenk wird auf ein Kunstwerk ĂŒbertragen, das damit zu einem Ă€ußeren Geschenk fĂŒr andere wird.
  • „Und jeder KĂŒnstler, dessen Werk uns berĂŒhrt, verdient unsere Dankbarkeit.” (S. 76)

Der Zuwachs ist die Seele des Geschenks

  • „Der Zuwachs ist die Seele und der Kern des Geschenks.” (S. 64)
  • „Kapital wirft Gewinn ab, ebenso Handel, aber Geschenke, die Geschenke bleiben, bringen keinen Gewinn, sondern einen Zuwachs. Der Unterschied liegt im Vektorcharakter des Letzteren: Beim Gabentausch bleibt der Zuwachs im Fuss, folgt dem Objekt; beim Warentausch dagegen erstarrt er als Gewinn.” (S. 65)
  • vgl. BWL: Gewinn, der reinvestiert wird, ist eher Zuwachs. Gewinn, der entnommen wird (z.B. als Dividende), erstarrt.
  • „Der beim Gabentausch eintretende Zuwachs muss Geschenk bleiben und darf nicht wie eine Rendite auf privates Kapital einbehalten werden.” (S. 65)

Drei Formen des Gabenzuwachses (S. 66)

  1. natĂŒrlich (bei Lebewesen); z.B. auch Zuwachs an Wissen, Kompetenz etc, sofern diese im Fluss bleiben
  2. natĂŒrlich-spirituell (bei TrĂ€gern eines Geistes, der die Konsumtion seiner einzelnen Verkörperungen ĂŒberlebt); vgl. Unendliche Spiele, die unabhĂ€ngig von ihren Spielern weiterleben
  3. sozial (bei einem Umlauf, in dem aus individuellem Wohlwollen eine Gemeinsamkeit hervorgeht); vgl. Community Building

Lehren, die verÀndernde Gaben sind

  • Der EmpfĂ€nger spĂŒrt „Dankbarkeit, wenn die Lehre zu „greifen” beginnt.” (S. 76)
  • „Dankbarkeit empfinden wir in der Zeit zwischen Empfang und Weitergabe des Geschenks.” (S. 76)
  • „Und gerade solche Geschenke, die VerĂ€nderungen mit sich bringen, mĂŒssen erst in uns wirken, uns ihnen ebenbĂŒrtig machen, bevor wir sie weiterreichen können.” (S. 76)
    • Wow. Das ist profund!
    • Das macht den echten Experten aus. Er ist dem Thema ebenbĂŒrtig, kein Wannabe!
  • „Durch die Weitergabe des Geschenks schließen wir die MĂŒhen in einem Akt der Dankbarkeit ab.” (S. 76)
  • Wenn ich eine Gabe empfange, die mein Leben verĂ€ndert (z.B. durch „Lehre”), dann muss ich mich zuerst damit auseinandersetzen, mich ihr ebenbĂŒrtig machen – und dann muss (!) ich dieses Geschenk weitergeben, indem ich es (in irgend einer Form) lehre. Nur dann werde ich diesem Geschenk gerecht, nur dann halte ich es am Leben, nur dann befreie ich mich aus der Schuld der Dankbarkeit.
  • vgl. „Sell your wisdom and buy bewilderment“: Ich gebe meine Weisheit weiter, um dann bereit zu sein fĂŒr eine neue mich verĂ€ndernde Gabe. Das ist die Essenz, die Rumi meint, in anderen Worten ausgedrĂŒckt. 

Sobald sich eine Gabe in uns regt

  • „Sobald sich eine Gabe in uns regt, sind wir aufgerufen, sie zu entwickeln. Beim Heranreifen eines Talents findet ein beiderseitiges Ringen statt. Die Gabe setzt ihre Energie frei, solange wir ihr dafĂŒr aufwarten.” (S. 79)

MĂŒhe vs. Arbeit

  • MĂŒhe: „Ein Gedicht schreiben, ein Kind erziehen, einen neuartigen KalkĂŒl entwickeln, eine Neurose auflösen, Erfindungen aller Art – das sind MĂŒhen.” (S. 80)
  • Arbeit: „Arbeit ist eine absichtsvolle, willentlich ausgefĂŒhrte TĂ€tigkeit. Eine MĂŒhe kann absichtsvoll sein, jedoch nur im GrundsĂ€tzlichen oder in dem Entschluss, nichts zu tun, was ihr eindeutig zuwiderlaufen wĂŒrde.” (S. 80)
  • vgl. Beziehungsprojekte (MĂŒhen) vs. Ergebnisprojekte (Arbeit)

Karl Marx: Tauschwert, Gebrauchswert

  • Marx, Das Kapital, S. 50
  • „worth” = Gebrauchswert; „value” = Tauschwert (S. 92)

Eine Gabe enthĂ€lt keine Verpflichtungen fĂŒr den EmpfĂ€nger!

  • „Wenn der Geber oder der EmpfĂ€nger das Verpflichtende einer Gabe hervorzuheben anfĂ€ngt, hört sie auf, eine Gabe zu sein.” (S. 104)
  • „Mit Menschen, die uns falsche Geschenke machen, können wir uns nicht wirklich verbunden fĂŒhlen. Und echte Geschenke verpflichten uns nur, wenn wir sie nicht weitergeben – das heißt, wenn wir sie nicht mit einem Akt oder Ausdruck der Dankbarkeit erwidern.” (S. 80)

AbhÀngigkeit von den Lehrern

  • „Die AbhĂ€ngigkeit von unseren Gaben (und den Lehrern, die sie weckten) verringert sich mit wachsender FĂ€higkeit, sie weiterzugeben.” (S. 104)

Man muss Gaben auch zurĂŒckweisen

  • „Gerade wegen der verbindenden Kraft der Gaben muss man sie vielfach zurĂŒckweisen.” (S. 105)
  • „Geschenke, selbst in der besten Absicht gemacht, trĂŒben das Urteilsvermögen.” (S. 105)
    • Das ist das GrundĂŒbel der Korruption, weshalb auch kleine Geschenke und „Aufmerksamkeiten” problematisch sein können.
  • „Auch Geschenke von bösen Menschen gilt es zurĂŒckzuweisen, um uns nicht an das Böse zu binden.” (S. 107)
    • vgl. Marianne Gronemeyer: Wozu reichst du die Hand?

Gabenökonomie und Individualismus

  • „Gabenökonomien lassen eine eigene Form von Individualismus zu [
]. […] In Gabenökonomien wohnt der Individualismus dem Recht inne, wann und wie man etwas verschenkt.” (S. 115)

Learn how to be helpful

  • Hilfreich zu sein, ist im Grunde nichts anderes als das „Vermögen des Einzelnen, seine Ideen als Gaben in den Dienst des Gruppengeistes zu stellen und darĂŒber an diesem teilzuhaben.” (S. 119)

Ideen sind keine Waren

  • „Ideen können kaum frei zirkulieren, wenn man sie als Waren behandelt. […] Auf einem freien Markt sind die Menschen frei, die Ideen dagegen abgeschottet.” (S. 119)
    • Daher auch Seth Godins Meinung, das Copyright zu beschrĂ€nken. Siehe auch weiter unten.

Intellektueller Gedankenaustausch ist „kĂŒhl“

  • „Dem intellektuellen Gedankenaustausch [ist] eine gewisse „KĂŒhle” eigen. […] Fachartikel können kaum die emotionale Unmittelbarkeit persönlicher Geschenke ausstrahlen.” (S. 120)
  • Da haben Blogs, Videos, Podcasts etc. einen gewissen Vorteil. Sie schaffen mehr emotionale WĂ€rme und sind deswegen Geschenk-Ă€hnlicher, weil sie persönlicher sind.

Die Ökonomie des Gabentausches eignet sich nur fĂŒr kleine Gruppen

  • „An diesem Punkt sollte ich eindeutig klarstellen, dass sich die Ökonomie des Gabentausches nur fĂŒr kleinere Gruppen eignet. […] Die obere Grenze dĂŒrfte bei etwa tausend liegen, mehr können Menschen emotional kaum bewĂ€ltigen.” (S. 127)
  • „Ausnahmen bilden Gemeinschaften wie jede der Forschung, die durch sehr spezifische gemeinsame Interessen definiert sind. Gruppen, die keine weitergehenden sozialen AnsprĂŒche stellen – wie ihre Mitglieder zu versorgen, gesundheitlich zu betreuen, zu verheiraten und so fort – können ziemlich groß sein und doch durch Gabentausch zusammenhalten.” (S. 127)
    • vgl. Communities of Practice, GILDE, Tribes etc.
    • Btw. Deswegen ist ein „tribe” eben kein Stamm im ursprĂŒnglichen Sinn.

Weibliche vs. mÀnnliche Berufe

  • Weibliche Berufe (Kinderbetreuung, Sozialarbeit, Krankenpflege, Schaffen und Bewahren von Kultur, Seelsorge und Lehre) enthalten „grĂ¶ĂŸere Beimischungen der GabenmĂŒhe als die eindeutig mĂ€nnlichen wie Bankier, Jurist, Manager, VerkĂ€ufer und so fort.” (S. 148f)
  • Zum Lehrer: Den Beruf â€žĂŒben zwar auch MĂ€nner aus, aber, wie der frĂŒhere US-VizeprĂ€sident Spiro Agnew betonte, in der Regel verweichlichte.” (S. 149)
  • Die Unterscheidung zwischen „mĂ€nnlichen“ und „weiblichen“ Berufen scheint im Jahr 2023 reichlich antiquiert. Vielleicht ist aber auch nur die Übersetzung schlecht. Denn dass es maskulinere und femininere Berufe gibt, darĂŒber ließe sich auch heute noch diskutieren.

???? Vermarktung ist ausgeschlossen – vgl. Edupreneure

  • „Da die Produkte der „weiblichen”, auf das Soziale und die Seele bezogenen Arbeit keine Waren, keine in Preisen bemessbaren oder willentlich entfremdeten Dinge sind, kann diese nicht auf einer reinen Kosten-Nutzen-Basis erfolgen. Außerdem verzichten jene, die sich derlei MĂŒhen unterziehen, indem sie ihrer Berufung folgen, auch automatisch auf die Möglichkeit, „sich zu verkaufen”. Die MĂŒhe der Hingabe erfordert ein emotionales oder geistiges Engagement, das seine eigene Vermarktung ausschließt.” (S. 149)
  • „Bestimmte TĂ€tigkeiten sind mit einer solchen kĂ€mpferischen Einstellung gar nicht vereinbar. […] Schon die geringste MĂŒhe im Sinne der Hingabe bedeutet Entfremdung vom Markt, verminderte Gewinnorientierung und stĂ€rkere Betonung des „weiblichen” Anteils.” (S. 149)
    • Wow!
  • „Kosten und Nutzen von TĂ€tigkeiten, bei denen es um gegensĂ€tzliche Verfahren und leicht quantifizierbare Resultate geht, lassen sich mit Hilfe des Marktsystems genau ausdrĂŒcken, nicht jedoch die der fĂŒr Gaben aufgewandten MĂŒhe. Die Speisekammer des Pfarrers wird immer mit Gaben gefĂŒllt sein, doch KĂŒnstler werden nie gut „verdienen”.” (S. 150)
    • Wie kann sich der Pfarrer oder der KĂŒnstler also ein „rich life” (Ramit Sethi) schaffen, das weitgehend unabhĂ€ngig von Materiellem ist, weil sie eben nie gut verdienen werden, wenn sie ihrer Berufung folgen? Wie können sie von ihren Gaben leben, ohne hungern zu mĂŒssen?
  • Daraus ergibt sich der berechtigte „Anspruch, bestimmte Teile unseres sozialen, kulturellen und geistigen Lebens vom Markt fernzuhalten. Wir dĂŒrfen nicht alle GabenmĂŒhen in Marktarbeit umwandeln, denn sonst kommt der Tag des grenzenlosen Marktes.” (S. 150)
    • Das wĂ€re das Ende von Kunst und Kultur, wie wir sie (noch) kennen.
  • Wir mĂŒssen daher Gaben „tatsĂ€chlich als Gaben [..] behandeln, anstatt bloß auszubeuten”. (S. 151)
  • Interessanter Zusammenhang: Der Niedergang des Glaubens im 19. Jahrhundert fiel mit dem „bemerkenswerten Erfolg eines sekulĂ€ren, merkantilen Unternehmergeistes zusammen”. (S. 151) SpiritualitĂ€t ist „weiblich” und entzieht sich der Marktlogik, deswegen ist das, was am Markt gut funktioniert, notwendigerweise arm an Geist, Glauben und Sinn!
    • Btw: „Jesus grenzt stĂ€ndig den Markt vom Himmelreich ab.” (S. 161)

Gabe vs. Waren

  • „Wie gesehen, gibt es zwei Grundformen des Eigentums, Gaben und Waren. Beide treten nie in Reinform auf, sondern bedĂŒrfen immer zumindest einer Beimischung des anderen [
]. Doch gewöhnlich dominiert eine von beiden.” (S. 188f)

Das BedĂŒrfnis, zu geben

  • „Nachdem er angenommen hat, was ihm gegeben wurde – sei es als Inspiration oder als Talent -, fĂŒhlt sich der KĂŒnstler oft gezwungen, verspĂŒrt er ein BedĂŒrfnis, das Werk zu schaffen und einem Publikum anzubieten. Die Gabe muss in Bewegung bleiben.” (S. 196)
  • May Sarton: „Die nach innen gerichtete, also nicht weitergebbare Gabe wird zu einer schweren inneren Last, manchmal sogar zu einer Art Gift. Es ist, als staute sich der Strom des Lebens.” (S. 196)
  • vgl. Buch-Notizen: Ich muss zuerst mal meine Notizen „freigeben” (releasen), damit ich neue Energie und neuen Fluss in diesen Gedanken verspĂŒre. Deswegen ist dieses Teilen auch so beglĂŒckend.

An wen richtet der KĂŒnstler sein Werk?

  1. Walt Whitmans Motto: „Schaffe das Werk!”. Es geht darum, der Seele Ausdruck zu verleihen. Das Werk ist insofern Selbstzweck.
  2. Ezra Pound: Die „Tradition” ist die Quelle und letzten Endes auch das Ziel der Gaben. Er trĂ€gt zum unendlichen Spiel bei, um „diese Tradition immer wieder neu entdecken” zu können. (S. 197)

Wir nÀhren den Geist

  • „Wir nĂ€hren den Geist, indem wir unsere Gaben verschenken, nicht indem wir Kapital daraus schlagen (nicht „zu viel”, meint [der Dichter Gary] Snyder – da scheint etwas Spielraum zu sein).” (S. 200)

Einem Publikum weitergeben

  • „Sobald eine innere Gabe realisiert ist, kann man sie weitergeben, einem Publikum mitteilen, und manchmal reproduziert die verkörperte Gabe – das Werk – den Zustand der Gnade auch in diesem.” (S. 202)

Die Denkweise, die Gaben zerstört

  • „ZĂ€hlen, messen, Werte berechnen oder die Ursache der Dinge ergrĂŒnden wollen bedeutet, den Kreislauf zu verlassen, nicht mehr „aus einem Guss zu sein” mit dem Strom der Gaben und stattdessen als ein Teil des Ganzen ĂŒber andere Teile nachzudenken.” (S. 203)
  • = Management!

Spannung Gabentausch – Markt

  • „Alle Kulturen und alle KĂŒnstler spĂŒren die Spannung zwischen Gabentausch und Markt, zwischen Selbstvergessenheit der Kunst und der Selbstverherrlichung des Kaufmanns, und schon vor Aristoteles hat man ĂŒber die Frage diskutiert, wie sich diese Spannung auflösen lĂ€sst.” (S. 210)
  • Es ist eine Spannung. Wir agieren in Spannungsfeldern.
  • „Einige Aspekte des Problems sind jedoch eindeutig modern.” (S. 211)

vgl. Theory U

  • „Die Vollendung eines Kunstwerks gliedert sich in mindestens zwei Phasen, eine ziellose und eine zielstrebige. Am Anfang steht das Ziellose. Nur im Zustand der Entspannung lassen wir uns wirklich von Ereignissen, Intuitionen und Bildern bewegen oder gar einschĂŒchtern.” (S. 290)
  • „Wenn das Material schließlich erscheint, so gewöhnlich diffus, vielleicht persönlich faszinierend, jedoch fĂŒr Dritte kaum zu gebrauchen – jedenfalls nicht als Kunstwerk. Zwar gibt es Annahmen, aber die ersten Formulierungen sind selten befriedigend [
].” (S. 290)
  • „Wie ein Autor um Worte ringt, so ringt die Phantasie um die klare Artikulation ihres Empfindens.” (S. 290)

Etwas Empfundenes findet seine eigene Form. (Jack Kerouac, S. 290)

  • Das gilt auch fĂŒr die Lehre. Wenn etwas stark empfunden wird, findet es auch einen Weg nach außen.
  • vgl. Von einem guten Baum können keine schlechten FrĂŒchte kommen.

Wille vs. Willensrichtung

  • „Um Ezra Pound gerecht zu werden, sollte ich hinzufĂŒgen, dass zwar alle seine Helden MĂ€nner mit einem ausgeprĂ€gten Willen sind, er aber großen Wert darauf legt, zwischen gutem und bösem Willen zu unterscheiden. Wenn er hervorhebt, „Je grĂ¶ĂŸer der KĂŒnstler, desto bestĂ€ndiger sein Werk, und das ist eine Sache des WILLENS”, so nicht ohne den Zusatz: „und es ist auch eine Sache der WILLENSRICHTUNG”. Der gute Wille richte uns auf, der böse ziehe uns nieder.” (S. 298)
  • vgl. Anders Breivig: Sein Wille war stark, und von da her war er ein vorbildlicher Personal Project Manager. Aber man kann den Willen eben nicht von der Willensrichtung unabhĂ€ngig sehen. 

Bloße Produkte des guten Willens

  • „Manchmal ist jeder Wille, ungeachtet seiner Richtung, böser Wille. Wo nĂ€mlich der Wille dominiert, da findet die Grazie keine LĂŒcke, um einzutreten.” (S. 298)
  • „Wenn ihm die Empathie am Herzen liegt, die uns fĂŒr Dinge jenseits des Selbst empfĂ€nglich macht, dĂŒrfte er auch nicht erstreben, sie durch den Willen zu ersetzen, wenn ihre Kraft erschöpft ist.” (S. 298)
    • Empathie lĂ€sst sich nicht mit gutem Willen ersetzen; vgl. „bemĂŒht“.
    • Das sind dann nĂ€mlich „bloße Produkte des guten Willens” (S. 299)
    • Boßer guter Wille nimmt dem Werk jede Lebendigkeit; vgl. gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.

Was Ezra Pound an Geld zufloss


  • „Was Pound an Geld zufloss, stellte er stets in den Dienst der Kunst.” (S. 303)
  • „[Er war] ein Mann, der mit GroßzĂŒgigkeit reagiert, wenn ihn Kunst rĂŒhrt. In den Augen eines solchen Menschen besitzt der schöpferische Geist wahren Wert [
].” (S. 303)

Geschenke vs. Lockmittel

  • „Zweitens setzen diese Strategien Geschenke als Köder ein. Die von Burger King verteilten Spielzeuge sind formal gesehen keine „Gaben”, sondern der Bestechung dienende Lockmittel [
], um Kinder mittels der verpflichtenden Wirkung von Geschenken an ein Produkt zu binden. Damit dient die Bindung hier nicht dem Zuwachs, der aus dem Gabentausch resultiert, sondern allein dem Profit.” (S. 308)

Wucherer vs. Kaufmann

  • „Der Wucherer ist eigentlich weder Bruder noch Fremder, da er vom Wechseln zwischen den beiden Bereichen lebt. Auf dem Bildschirm schmeichelt er sich morgens bei den Kindern ein, um nachmittags den MĂŒttern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Er ist ein anderer Typus als der simple Kaufmann, der zwar kein Interesse am Wohlergehen der Familie haben mag, aber zumindest Zucker als Zucker und Salz als Salz verkauft.” (S. 309)
  • „Kurz, der Wucherer nutzt Zuneigung und Einbildungskraft, um sein Produkt gewinnbringend wirken zu lassen.” (S. 309)
    • vgl. MLM; get rich quick schemes

GeldgeschÀfte an die Peripherie verlegen

  • „Als ein Weiser des Alten Testaments hĂ€tte er Pound lehren können, wie man seine Gaben schĂŒtzt und GeldgeschĂ€fte so an die Peripherie verlegt, dass das Leben im Inneren weitergehen kann.” (S. 331)
  • GeldgeschĂ€fte an die Peripherie verlegen
 Ein interessanter Gedanke. Aber wie?

Das „ResĂŒmee” des Buches = Skizzierung des „3. Weges”

  • „Der unĂŒberwindliche Widerspruch zwischen Gabentausch und Markt hat zur Folge, dass der KĂŒnstler in der modernen Welt einem stĂ€ndigen Spagat ausgesetzt ist: Sein Werk gehört der GabensphĂ€re an, dessen Kontext aber bildet die Warengesellschaft. Zumindest dachte ich so, als ich dieses Buch zu schreiben begann.” (S. 351)
  • „Jetzt denke ich anders. […] Es bestehen fließende ÜbergĂ€nge [
]. Wenn KĂŒnstler in einer Marktwirtschaft leben wie Ezra Pound, so ist die Versöhnung der beiden SphĂ€ren anzustreben.” (S. 351)
  • „Die Zulassung des Zinses ermöglicht ja einen Austausch zwischen diesen beiden SphĂ€ren, womit die Grenze durchlĂ€ssig wird. Nun kann sich Gabenzuwachs (nicht kalkulierende, positive ReziprozitĂ€t) in Marktzuwachs (kalkulierende, negative ReziprozitĂ€t) verwandeln und umgekehrt: Von außen einfließende Zinszahlungen mutieren im Inneren zu Gaben. So lassen sich theoretisch Gaben in Waren und Waren in Gaben konvertieren, anders gesagt, Gabenwerte funktionalisieren und Marktwerte erotisieren.” (S. 352)
  • „Wo alles Vermögen in Gaben fließt, kommt kein Markt zustande. […] Zwischen den beiden  Polen gibt es jedoch eine goldene Mitte, in der eros und logos zusammenfinden.” (S. 352)
  • Wie sollen KĂŒnstler in einer Marktwirtschaft ĂŒberleben, wenn Kunst im Wesentlichen eine Gabe ist?
    • „Zum einen lösen sie sich ein wenig von der Gabenökonomie und schließen Frieden mit dem Markt.” (S. 353)
    • KĂŒnstler bewahren sich â€žfĂŒr die Schaffensphase eine geschĂŒtzte GabensphĂ€re und treten anschließend auf den Markt.” (S. 353)
      • Genau das ist â€žSell your wisdom and buy bewilderment“!
      • Genau das ist Learner Mindset vs. Performance Mindset!
    • „Sofern sie dort Erfolg haben – das ist die notwendige zweite Phase – wandeln sie den Marktwert in Gabenwert um, als Beitrag zur Förderung der Kunst.” (S. 353)
    • „Eigentlich haben moderne KĂŒnstler drei Haupteinnahmequellen, Nebenverdienste, Gönner und Erlöse [
]” (S. 353)
    • Ein KĂŒnstler kann durch ErwerbstĂ€tigkeit (Nebenverdienste) gleichsam zu seinem eigenen Gönner werden! (S. 353)
    • „ErwerbstĂ€tige und geförderte KĂŒnstler ziehen in gewissem Sinne eine strukturelle Grenze zum Markt, wohingegen derjenige, der vom Verkauf seiner Werke lebt, nicht nur selbst ein  GefĂŒhl dafĂŒr entwickeln, sondern auch eigene Rituale ausbilden muss, um die beiden SphĂ€ren sowohl auseinanderzuhalten als auch miteinander zu vereinbaren.” (S. 353)
      • Das ist die Herausforderung fĂŒr KĂŒnstler als GrĂŒnder*innen auf den Punkt gebracht. Jeder Weg ist legitim, aber jeder braucht seine eigene Form der Anstrengung.
  • „Doch bei der Realisierung einer Gabe darf der Markt nicht den Ton angeben, sondern erst ins Spiel kommen, wenn das Werk der Inspiration folgend vollbracht ist.” (S. 354)
    • Design Thinking und AgilitĂ€t wĂŒrden das etwas anders sehen: Nicht zuerst das Werk schaffen, sondern so frĂŒh wie möglich den Markt befragen.
    • Wie passt das zusammen???
      • Aber auch diese Techniken beginnen mit dem kreativen Prozess…
  • „Wahre KĂŒnstler [werden] in der Regel nicht reich [..], sondern gerade ihr Auskommen haben.” (S. 354)
    • Denn: â€žTreue zu den eigenen Gaben lĂ€sst kaum Kraft fĂŒr den Erwerbstrieb [
].” (S. 356)
  • „Um den Spagat zu schaffen, schalten KĂŒnstler oft Agenten ein.” (S. 354)
  • „Wie oben gezeigt, sind Gaben erst dann wirklich unser Eigen, wenn wir sie weggegeben haben. Der Begabte bekommt also nicht zu sich selbst, bevor er sich als HĂŒter fremden Vermögens versteht, das er stĂ€ndig auskehren muss.” (S. 356)
  • „Wenn der KĂŒnstler diese innere Armut bereitwillig annimmt, kann er eine gewisse Schlichtheit seines Ă€ußeren Lebens gut ertragen – wohlgemerkt nicht Not, sondern Schlichtheit.” (S. 356)
    • „Ich will die Armut des KĂŒnstlers beileibe nicht romantisieren [
].” (S. 356)

No story, no glory

  • „Woher eine innere Gabe kommt, welche Dankesschuld sie uns auferlegt, wie und wem wir unsere Dankbarkeit ausdrĂŒcken sollen, inwieweit wir die Gabe sich selbst ĂŒberlassen und inwieweit wir sie disziplinieren, wie wir ihren Geist nĂ€hren und ihre VitalitĂ€t erhalten mĂŒssen – diese und alle anderen Fragen im Zusammenhang mit der Gabe lassen sich nur mit simplen Geschichten beantworten.” (S. 357)

Das Buch bietet keine Lösungen an

  • „Ich hatte gehofft, einen „prophetischen Entwurf” schreiben zu können, also etwas möglichst „Zeitloses”, und gerade deshalb ist Die Gabe kein sehr praxisnahes Buch. Zwar stellt es ein praktisches Problem dar – die Kluft zwischen Kunst und Erwerbsleben -, bietet aber keine Lösung an.” (S. 360)

Der Öffentlichkeit werden Ideen entzogen

  • „Durch ausufernde Urheberrechte werden der Öffentlichkeit immer mehr Kunstwerke und Ideen entzogen. Die Walt Disney Company griff munter auf die Folklore zurĂŒck, um ihr Filmimperium zu begrĂŒnden („Schneewittchen”, „Pinocchio”), wenn jedoch heute jemand aus dem Volk etwas davon nutzen will, hat er rasch eine Abmahnung im Briefkasten.” (S. 366)
  • „Insgesamt fĂŒhrte der Triumph des Marktes zur Kommerzialisierung zahlreicher Dinge, die wir frĂŒher fĂŒr kostenlos, darunter GemeingĂŒter sowohl natĂŒrlicher als auch kultureller Art, die wir fĂŒr nicht privatisierbar hielten.” (S. 366f)

„Kommerz ist nicht ausgeschlossen, aber zweitrangig.” (S. 368)


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